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geln vorzog und eine mildere und friedfertigere Gesinnung von denen forderte, die
christliche Personen und Gemeinden zu leiten haben.
Es war damals die Zeit, wo der Streit über religiöse Fragen besonders heftig geführt
wurde, ohne daß daraus der wahren Frömmigkeit der geringste Vorteil erwuchs.
Es wird nichts mehr fehlen am Ruhme Gebhards, wenn ich noch zwei Dinge
erwähne über Streitfragen der jüngsten Zeit. Die eine ist jene, die Theologen von
hohem Ansehen, die zu hoch von sich denken, als ihr eigenstes Gebiet betrachten.
Gerade wie wenn das, was von ihnen ausgeht, nicht falsch sein könne und nicht
geprüft zu werden brauche. Ihnen erscheinen als Ketzer und des Scheiterhaufens
würdig alle, die nicht genau in ihren Fußspuren gehen oder von den Ansichten
dieser großen Namen auch nur einen Finger breit abweichen.
Ruhmwürdig und ebenso notwendig als nützlich schien es Gebhard, daß dem
Verderben der alten Lehre, die unsere Reformatoren mit so viel Mühe von den
unreinen Sätzen gesäubert haben, ein Riegel vorgeschoben würde, daß den neuerungssüchtigen
Geistern ein Zügel angelegt würde. Aber für unbillig erachtete er
es und für gemein - nach meinem Urteil mit Recht -, wenn manche, gleichsam
vom päpstlichen Hochmut erfüllt, dekretieren und verkündigen, man dürfe die
nicht dulden, die, während sie die Religionswahrheiten mit demselben Eifer verkündigen
und ebenso lauter verteidigen und ihre offenen und heimlichen Feinde,
welche letztere heute gewöhnlich Synkretisten genannt werden, mit nicht geringem
Hasse bekämpfen, es wagten, in unwichtigen philosophischen Fragen oft nur
grammatikalischer Art anderer Meinung zu sein. Diese von einigen in unserer
Kirche ausgeübte Tyrranei hat er oft beklagt. Denn er sah deutlich, daß durch
diese rücksichtslose Herrschaft den besten Köpfen der Weg gesperrt wird, auf dem
sie zur Erforschung der Wahrheit weiter schreiten könnten. Er sah, daß offenbaren
Irrtümern wegen des hohen Ansehens und der Verehrung, die ihre Urheber genießen
, ewige Dauer beschieden zu sein scheint. Er sah, daß unsere Kirche in täglich
schärfere Eifersüchtelei und Wirrnis gerate, dadurch, daß von diesem Körper alle
abgetrennt würden, die der Willkür eines Menschen die einem jeden von Gott
gewährte Freiheit des Denkens nicht unterwerfen wollen. Die wahre Religion
beruht nicht auf menschlichen Überzeugungen, sondern auf Gottes Wort. Was
verschlägt es auch, wenn mehrere das gleiche Ziel nicht auf einem, sondern auf
verschiedenen Wegen zu erreichen suchen? Ich sehe, daß an manchen Orten jene
rigorose Einseitigkeit nicht mehr festgehalten wird, und ich wünsche nur, daß
unsere Kirche immer besitzen möge Haß gegen Sekten jeder Art, aber auch christliche
Weitherzigkeit, die alle wissenschaftliche Kopffechterei verachtet.
Ich komme zum zweiten Punkt, in dem Gebhard die heute üblichen Streitereien
getadelt hat, nämlich die übermäßige Wertschätzung der Wissenschaft, die man
Philosophie nennt. Die Philosophie selbst, sofern sie eine Schulung des menschlichen
Verstandes darstellt, konnte er nicht verwerfen, auch hat er die Vernunft als
Gottes Geschenk nicht verachtet. Aber heute verbirgt sich unter diesem Namen ein
Mischmasch und ein Gemengsei von Ausdrücken, schon durch ihren Klang fürchterlich
; wenn du sie nur hörst, so jagen sie dir Furcht ein wie bestialische Unge-
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