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anders aus. Legendenbildung war im Mittelalter (und ist es vielleicht auch heute
noch) ein ganz natürlicher Vorgang, er resultiert aus dem Bedürfnis heraus, das
Leben einer herausrasenden Persönlichkeit zu verklären und ihm dadurch beson-
deren Glanz zu verleihen. Ein wesentliches Merkmal dafür, dass einer Persönlichkeit
der Kirche besondere Bedeutung verliehen wird, sind die Wunder. Sie waren
der sichere Hinweis auf die Heiligkeit einer Person. Eine Heiligsprechung durch
die offizielle Kirche gab es zu dieser Zeit noch nicht. Die erste Kanonisierung
durch einen Papst geschah erst im Jahr 993. es war Ulrich von Augsburg. Im 13.
Jahrhundert schließlich entstand die wohl bedeutendste Legendensammlung des
Mittelalters, die „legenda aurea" des Jacobus de Voragine, die maßgeblich die
mittelalterliche Kunst beeinflusst hat. Die Darstellung der Heiligen auf Bildern
dieser Zeit ist ohne die Kenntnis dieser Legendensammlung kaum verständlich,
sind doch die Bilder oft Illustrationen der Texte des Jacobus de Voragine. Auch
unser Heiliger ist darin vertreten.
Kaum war Leodegar gestorben, so berichten die Hagiographen, wurde über
seinem Grab eine Gebetsstätte errichtet. Kranke kamen hierher, so erzählen sie.
und unzählige Wunder geschahen, vor allem auch Heilungen von Blinden (Hinweis
auf sein Martyrium), deren Kunde sich schnell im Lande verbreitete. Als
Ebroin davon erfuhr, wollte er das mit aller Macht verhindern, aber da er kurze
Zeit später selbst umgebracht wurde, konnte sich der Ruhm des Heiligen ungehindert
im ganzen Land verbreiten. Sehr bald entstand jedoch ein Disput darüber, wo
Leodegar seine letzte Ruhestätte finden sollte. Sicherlich spielten dabei auch wirtschaftliche
Erwägungen eine Rolle, denn wer die Gebeine eines solchen Heiligen
in seinen Mauern hatte, konnte natürlich Pilgerströme erwarten, die dem Geschäftsleben
und der Bedeutung einer Stadt Auftrieb verliehen. Der Bischof von
Arras wollte den Heiligen in seinem Sprengel behalten, der Bischof von Poitiers
reklamierte ihn. da er in seiner Diözese tätig war. u. a. in St. Maixent, und Autun
glaubte Anspruch zu haben, weil Leodegar dort Bischof war. Um den Streit zu
schlichten, einigte man sich auf ein Gottesurteil. Nach drei Tagen des Gebetes und
des Fastens schrieb man die drei Namen auf Zettel und legte sie auf den Altar. Am
nächsten Morgen griff ein Kleriker zufällig den Zettel von Poitiers mit dem Namen
des dortigen Bischofs Ansoald. Damit war die Entscheidung gefallen. In
einem wahren Triumphzug. begleitet von unzähligen Wundern, wurde der Leichnam
durch das Land bis Poitiers transportiert. Ansoald entnahm kurz vor Poitiers
schließlich den Kopf, der übrige Leichnam wurde schließlich nach St. Maixent
gebracht, wo wir heute noch den Sarkophag bewundern können. Bis ins 9. Jahrhundert
waren die Mönche von St. Maixent die Hüter des Grabes, bis sie vor den
Normannen nach Ebreuil flüchteten. Ihren Reliquienschatz nahmen sie selbstverständlich
mit. Des öfteren noch mussten sie fliehen, so wurden die Reliquien
weitverstreut. Die Mönche von Ebreuil glaubten jedoch, den größten Teil zu
besitzen. Noch heute steht im Chor der Kirche ein sehr schöner Schrein des
ausgehenden Mittelalters.
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