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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
63.2001, Heft 2.2001
Seite: 177
(PDF, 34 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-2001-02/0179
Was die ..Sprache der Mutter", die „Muttersprache" betrifft, so ist die enge
Beziehung zur eigenen Mutter, zu jener großen Frau Ursula Oertlin-Hebel. mit
Händen zu greifen. Die sogenannte ..Niegehaltene Predigt vor einer Landgemeinde
" (1820) verrät uns alles:

„Ich habe schon in dem zweiten Jahre meines Lebens meinen Vater, in dem
dreizehnten meine Mutter verloren. Aber der Segen ihrer Frömmigkeit hat mich
nie verlassen. Sie hat mich beten gelehrt; sie hat mich gelehrt an Gott glauben, auf
Gott vertrauen, an seine Allgegenwart denken. Die Liebe vieler Menschen, die an
ihrem Grabe weinten und in der Feme sie ehrten, ist mein bestes Erbteil geworden
, und ich bin wohl dabei gefahren.....".91 Glauben. Vertrauen und Denken hat

er durch die Mutter gelernt, und die Liebe der Vielen zu seiner Mutter ist sein
..Erbe" geworden. Ein solches Erbe ist keine Last! Aus Glaube. Vertrauen. Denken
und erfahrener Liebe entsteht das Gefühl und das Bewußtsein, ein Zuhause zu
haben, eine wirkliche ..Heimat". Da weiß man. wohin man gehört - wohin man.
vor allem, gehören will) Da schämt man sich in der Fremde, in Berlin oder Hamburg
oder Düsseldorf, nicht seiner Sprache in der Färbung ihres Dialekts. Da sagt
man auch nicht ..Ich war z'Haage". sondern ..ich bi z'Haage gsi"! Das ist kein
weltschmerzlerisches Zurückdenken bei Hebel - im Gegenteil: Seine Mutter hat er
immer in der Zukunft gesucht, und er hat sich vor allem aufs Wiedersehen mit ihr
gefreut. ..Wo findet die Seele die Heimat, die Ruh'...?": das ist die Melodie der
Zukunft! Die Heimat liegt nicht (nur) hinter uns - die alte Heimat vergeht, wie es
in der „Vergänglichkeit" beschrieben ist. Mögen „die alten Straßen noch..." zu
finden sein - „die alten Freunde, ach. sie sind nicht mehr...". Wir lieben die
Heimat, aus der wir kommen, aber wir versuchen nicht, sie mit aller Gewalt
wieder herbei zu zwingen - das geht auch nicht. Hebel lebt zwischen der (früher)
erlebten und der ersehnten Heimat. Und was die Muttersprache, die Heimat bietet,
angeht: die hat Hebel sich zum zweiten Mal dort erworben, wo man sie nicht
sprach: in Karlsruhe. Dort spricht man nicht alemannisch, dort heißt es breit:
..Zwoi woiche Oier in oinere Roih". Aber dort kann man plötzlich erkennen, wie
schön die eigene, die alemannische Sprache ist. (Ich kann mir denken, daß es vielen
Schwaben auch so geht, wenn sie zum Beispiel an die Rauhe Alb denken und leise
das „Von dr Alb obe ra" hören). Viele andere Sprachen hat Hebel in seinem Leben
gehört - und auch seine Freude daran gehabt. Aber die Sprache, in der er Glaube.
Vertrauen. Denken und Liebe gelernt hat: die hat er sich dann immer wieder - bei
jedem neuen alemannischen Gedicht - neu erworben. Er lernte: Mit anderen Sprachen
. Menschen und Kulturen leben - das kann ich dann, wenn ich meine eigene
Sprache und Kultur liebe und mich dazu bekenne. Erst damit entsteht ein Gegenüber,
mit dem der Andere in Kontakt treten und mich erkennen kann. Ich vergesse nicht,
was unlängst Günter GRASS über eine geliebte alte ostpreußische Großtante erzählt
hat. Eines Tages sagte sie ihm ins Ohr: „Ech wääß, Ginterchen, im Westen is' besser

- aber im Osten is' schääner". So geht's einem dann: viele Kulturen haben Vorteile

- aber die eigene ist eben „schöner"', mit noch mehr Liebe wahrgenommen. Jeder
darf seine eigene Heimat und ihre Sprache „schääner" finden.

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