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Die Verwertung der Flugzeugteile
Mit meiner Mutter kam ich Ende 1945 als Westvertriebener nach Kandern zu
Verwandten meines Stiefvaters Eugen Kammüller, der sich noch in französischer
Internieruns befand. Die Ernährungslase in der französischen Besatzungszone war
katastrophal. Jedermann musste sich auf irgendeine Art Zusätzliches beschaffen.
Man versuchte, bei den Bauern etwas Essbares zu ergattern, was aber ohne eine
Gegenleistung ziemlich vergeblich war. Zum einen überrannten Scharen von bettelnden
Städtern die Dörfer, zum anderen waren die Bauern einem strengen Abgabesystem
unterworfen. Es war genau vorgeschrieben, was sie für den Eigenbedarf
behalten durften. Zudem stahlen nachts französische Soldaten Vieh aus den Ställen
, ohne dass sich die Bauern dagegen wehren konnten. In dieser Zeit gab es für
Reichsmark überhaupt nichts zu kaufen, auch die kleinsten Gegenstände für den
täglichen Gebrauch waren nur durch ..Kompensationsgeschäfte"' zu erhalten, d.h.
man musste eine andere Ware anbieten. Ein beliebtes Zahlungsmittel waren z.B.
Zigaretten.
Da erfuhr ich 1946 von einem abgestürzten amerikanischen Bomber, dessen
Trümmer wenige Kilometer östlich von Kandern im Wald liegen sollten. Nach
einigem Suchen fand ich die Maschine knapp unter der Kammhöhe des westlichen
Gipfels der Hohen Stückbäume.
Daraufhin wurden Überlegungen angestellt, wie man die Flugzeugteile nutzbringend
verwenden könnte. Mittels eines scharf geschliffenen Schraubenziehers habe
ich von den Tragflächen unzählige Nieten abgeklopft, um große Bleche zu gewinnen
. Aus diesen Blechen entstanden dann verschiedene Dinse. z.B. Dörrhürtle
zum Trocknen von Obst. Kuchenbleche. Spachtel (Abb. 8).
In den Nachkriegsjahren zogen ganze Familien auf die abgeernteten Getreidefelder
zum Ährenlesen. Die gesammelten Ähren hat man zwischen den Händen
zerrieben und die Körner aus der Spreu herausgelesen. Um diese mühselige Arbeit
zu erleichtern, baute ich 1946 eine Rendle1' in Miniaturausgabe. Eine Rendle ist
ein in der Landwirtschaft gebräuchliches Gerät, um nach dem Dreschen des Getreides
das Korn von der Spreu zu trennen. In einer Trommel wird mit rotierenden
Schaufeln ein Luftstrom erzeugt, der in einen Windkanal geleitet wird. Über dem
Windkanal ist ein Trichter angeordnet, in den die zerriebenen Ähren geschüttet
werden. Die schweren Körner fallen nach unten, die leichte Spreu wird nach vorne
weggeblasen. Diese Rendle wurde ganz aus Flugzeugteilen (Blech, Winkelprofile.
Streben und Kugellager) gebastelt. Lediglich das Schwungrad bestand aus dem
unteren Teil einer Konservenbüchse, das mit Blei ausgegossen war. Dieses stammte
aus Geaensewichten der Höhenruder der B-17G. Die Miniaturrendle ist leider
in den 1950er Jahren, während meiner Abwesenheit, einer Entrümpelungsaktion
zum Opfer gefallen.
Die so gewonnenen Getreidekörner werden in einer Kaffeemühle mit Handkurbel
gemahlen, wobei sich an den Händen oft große Blasen bildeten. Aus dem sehr groben
Mehl kochte man eine Suppe, die scherzhaft als Rachenputzersuppe bezeichnet wurde.
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