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discher Provenienz herangezogen werden.15 Insbesondere während der Zeit des
nationalsozialistischen Terrors sind ungezählte Unterlagen und Schriftstücke aus
jüdischem Privat- und Familienbesitz vernichtet worden. Die gewaltsame Zerstörung
der jüdischen Gemeinden hatte zur Folge, dass weit mehr als die berufsspezifischen
Papiere der ..deportierten und ermordeten Viehhändler [...] als verloren gelten
[müssen]**.1- Diese Verlustanzeige ist generell für Schriftgut aus den jüdischen
Landgemeinden zu erheben. Briefdokumente als Quellen für die Erforschung der
Kontakte innerhalb des südbadischen Landjudentums bzw. landjüdischer Familien
sind demzufolge, zumal für das 19. Jahrhundert, ausgesprochen selten. Nur sehr
vereinzelt konnten bisher entsprechende Dokumente wieder entdeckt und Funde
angezeigt werden.
Zur Brieffonn
Der erste Part des 4-seitigen Schreibens (Papierformat: 21.5cm x 13,7cm) ist in
herkömmlicher altdeutscher Schrift verfasst und stammt aus der Feder des Müll-
heimer Kaufmanns Jakob Elias Meyer, dessen eingestanzte Initialen ..J.E.M.*" das
Briefpapier schmücken. Meyer wendet sich in dem Schreiben an seinen Kippen-
heimer Schwager Samuel Durlacher. Der abschließende Teil des Briefes enthält
eine Nachricht von Meyers Ehefrau Charlotte, die für ihre Schwester Sara Durlacher
gedacht war. Dieser Briefabschnitt (14 Zeilen), also die Botschaft zwischen
den beiden Frauen, ist in hebräischen Lettern und somit im sogenannten .Juden-
deutsch", versetzt mit Dialektwendungen, geschrieben.' Diese unterschiedlichen
Schreibformen sind bezeichnend für die Zeit der emanzipatorischen Entwicklung
der deutsch-jüdischen Bevölkerungsminderheit, insbesondere im ländlichen Bereich
. Der Gebrauch des .Judendeutschen"* war noch bis weit in die zweite Hälfte
des 19. Jahrhunderts gebräuchlich, zumeist durchsetzt mit regionalen oder lokalen
Eigentümlichkeiten. " Gerade für die eher auf den privaten Bereich konzentrierten
jüdischen Frauen stellte das .Judendeutsch" die hauptsächliche und selbstverständliche
Schreibweise dar. Nur die wenigsten von ihnen dürften in der Mitte
des 19. Jahrhunderts die altdeutsche Schriftform antizipiert haben. Ein jüngerer
Bruder der Schreiberin. Isaak Weil (1827-1853), sandte 1843 seiner Kippenhei-
mer Großmutter Mina Weil (um 1785-1857) Grüße zum jüdischen Neujahrsfest.
Dieses Briefdokument ist ebenfalls vollständig in .Judendeutsch" gehalten. Eine
andere Schreibweise hätte die Großmutter nur mit Mühe lesen können.2 Auch
der Freiburger Lederhändler Max Mayer (1873-1962) berichtete, dass seine im
Kippenheimer Nachbarort Altdorf aufgewachsene Großmutter, um die geschäftlichen
Vorgänge ihres Mannes nachvollziehen zu können, alles auswendig lernen
musste. da sie ausschließlich hebräische Buchstaben lesen und schreiben konnte.2"
Anders der Briefkontakt zwischen Jakob Elias Meyer und Samuel Durlacher: Hier
zeigt sich die fortgeschrittene Akkulturation der Land- und Kleinstadtjuden. Als
Handelsleute standen die beiden Männer stets auch in Kontakt mit nichtjüdischen
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