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Kirchner als der Erfahrenere gab Scherer neue Impulse, wurde aber von dessen
Schaffenskraft und Willenskraft als Künstler überrascht. Dem älteren Kirchner, der
seinen impulsiven Höhepunkt als Brücke-Mitbegründer hinter sich hatte, wurde
bewusst. dass dieser sich immer mehr zu einer Künstlerpersönlichkeit entwickelte.
Es ergab sich ein Rivalitätskonflikt, denn Kirchner fürchtete, sein eigenes Werk
könnte angesichts Scherers enormer Produktivität in den Hintergrund geraten.
Während der Vorbereitungen zu der ersten Rot-Blau-Ausstellung im April 1925
kam es zum Bruch zwischen Kirchner und Scherer. Kirchner verzichtete im letzten
Moment auf seine Teilnahme an der Ausstellung, denn er bezichtigte Scherer des
Plagiats. Bewusst oder unbewusst sah er in dem eifrigen Künstler, der in kurzer
Zeit mehr als 16 Skulpturen schuf, einen Konkurrenten. Eine Notiz in Kirchners
Tagebuch vom März/April 1925 belegt das unterkühlte Verhältnis der beiden
Künstler:
..Er ist ein sklavischer Nachahmer meiner Arbeiten. (...) Seine Arbeiten sind
maschinell und gleichartig, ohne künstlerisches Interesse, der Ehrgeiz _geht auf
äußerliche Dinge'".
Kirchner wandte sich von seinem ehemaligen Schüler ab. Zudem bezichtigte er
Scherer. die /?or-ß/«//-Vereinigung dazu zu benutzen, um seine Person und sein
Werk in den Vordergrund zu stellen. Scherer war bei der ersten Ausstellung mit
den meisten Arbeiten vertreten.
Abb. 16: Erste Ausstellung der Künstlenereinigung Rot-Blau.
Oberlichtsaal der Kunsthalle Basel. April 1925.
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