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der Verfasser den Forschungsstand in mehreren Bezugswissenschaften dar und entwickelt
seine Hypothesen. Dieser Teil der Arbeit mündet in eine hilfreiche Übersicht, die die innere
Organisation der Markgrafschaft Baden-Durlach erläutert. Unter anderem finden sich hier
wesentliche Eckdaten für das Oberamt Rötteln in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts.
In dem ersten großen Kapitel setzt der Verfasser bei den badischen Polizeiordnungen ein.
Anhand des kürzlich erschienenen „Repertorium der Policeyordnungen der frühen Neuzeit"
kann er die badischen Polizeigesetze und -erlasse ausbreiten. Vor allem in Graphiken und
Tabellen zeigt Holenstein die zeitliche Entwicklung, den Umfang und die thematischen
Schwerpunkte auf. Die Erörterungen führen hier zur Darstellung der zeitüblichen Publikationswege
für diese Ordnungen. Sehr verbreitet war eine Art „Umlauf' im Bezirk eines
Amtes. Das Oberamt setzte Abschriften neuer Ordnungen bei den Ortsvögten in Umlauf,
die die Texte in ein „Befehlsbuch'* eintragen sollten. Als Beispiel präsentiert Holenstein in
Tabellenform die vom Rezensenten veranstaltete Auswahl aus dem Notiz- und Befehlsbuch
des Hausener Vogtes Johann Michael Clais für 1788/89. Daneben gab es die Verlesung von
Befehlen vor der Gemeinde, die Veröffentlichung im amtlichen Wochenblatt und schließlich
in Gesetzessammlungen. Allerdings sicherten nur öftere Wiederholung und Einschärfung
die Kenntnis und Verbindlichkeit bei den Untertanen.
Im nächsten Großkapitel sucht Holenstein zu ermitteln, wie die Karlsruher Behörden sich
allgemein Kenntnis von den Zuständen „vor Ort" beschafften und wie sie Notwendigkeit
und Ratsamkeit neuer Polizeimaßnahmen erkundeten. Nebenbei versuchte man sich gleichzeitig
vermutlich bereits von der Wirksamkeit schon erlassener Bestimmungen zu überzeugen
. In diesem Zusammenhang verweist der Verfasser auf die in großer Zahl von den
Ortsvögten und den Pfarrern eingeforderten Berichte und Statistiken. Als umfangreiche und
durchaus ergiebige Informationsquellen galten überraschenderweise seinerzeit auch Suppliken
, d.h. Gesuche um Vergünstigungen und Befreiungen. Daneben gab es Landesvisitationen
und die noch heute üblichen Kirchenvisitationen. Schließlich konnten die gelegentlich
stattfindenden Rüge- oder Frevelgerichte, die die Nachfolge der alten Dinggerichte angetreten
hatten, den leitenden und richtenden Oberbeamten wichtige Informationen vermitteln.
Jedoch erbrachten selbst amtlich bestellte Aufseher oft keine erheblichen Rügen oder Anzeigen
. So setzten sich Kirchenrüger regelrechten Schikanen und Einschüchterungsversuchen
aus, wenn sie ihr Amt ernst nahmen. In Weil mussten eifrige Kirchenrüger ab 1755
nächtlichen Lärm, eingeschmissene Fensterscheiben und Flurschäden erdulden.
In den restlichen Großkapiteln versucht Holenstein die tatsächlichen Kommunikationsformen
zwischen Behörden und Gemeindebewohnern anhand von Frevelgerichtsprotokollen
vertieft aufzuzeigen. Diese Quellen hat der Verfasser in beträchtlicher Zahl im Karlsruher
Generallandesarchiv und in einzelnen Gemeindearchiven gefunden. Zunächst behandelt Holenstein
die rechtliche Normierung der badischen Rüge- oder Frevelgerichte um 1622, die
damals bereits eingeführt waren. Diese Gerichte sollten Ordnungsverstöße aufdecken und
bestrafen. Sie wandelten sich im 18. Jahrhundert weitgehend. Nun boten sie den Oberbeamten
eine Plattform, um die örtlichen Zustände zu erkunden, lokale Konflikte zu schlichten
und vor allem die Gemeinden zu entwickeln und „emporzuheben". (Übrigens würdigt der
Verfasser die Oberbeamten in ihrem Selbstverständnis durchaus, weniger aber als besondere
Kraft zwischen Zentrale und Gemeinden.)
In dem letzten und konkretesten Großkapitel führt Holenstein „lokale Problemfelder'' im
Spiegel der Frevelgerichte vor. Solche Problemfelder entstanden teils durch die Polizei-
Ziele der Regierung (wie z. B. Schulentwicklung, Versorgung der Schulentlassenen durch
eigene Arbeit, Agrarreformen. Seidenraupenzucht, Armenfürsorge. Feuerschutz). Ebenso
entstanden Probleme durch Reaktionen und Verhalten der Bevölkerung. Grundsätzlich führte
offenbar das Wachstum der dörflichen Unterschichten zunehmend zu innergemeindlichen
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