Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 4688,fm
Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
69.2007, Heft 1.2007
Seite: 156
(PDF, 28 MB)
Bibliographische Information
Startseite des Bandes
Zugehörige Bände
Regionalia

  (z. B.: IV, 145, xii)



Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0
Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-2007-01/0158
lieh zu, indem zahlreiche hinkende Boten und Volkskalender die Kluft zwischen
der literarischen Kultur der städtischen Mittel- und Oberschichten und der relativen
Unbildung des städtischen Proletariats sowie der ländlichen Bevölkerung zu überbrücken
halfen. An literarischen Marksteinen mangelte es während dieses langen
Leerraums nicht. Der hinkende Bote wurde auf beiden Seiten des Rheins gern ge-
lesen: der erste Almanach, der diesen Namen trug, wurde nämlich 1646 vom Colmarer
Verleger G. F. Spannseil herausgegeben. Almanache mit diesem Namen erschienen
1676 in Basel, 1703 in Bern; sie wurden auch in Straßburg und Frankfurt
publiziert.13' Eine andere in diesem Zusammenhang wesentliche Veröffentlichung
ist der wenig bekannte, 1645 in Luzern und Wien herausgegebene Kurtzweiliger
Reyßgespan von Joh. Talitz von Liechtensee, eine Sammlung von 216 Anekdoten
und Geschichten. Wie sein Titel besagt, ist dies ein „comes facundus in via pro
vehiculo", d. h. ein Reisebegleiter, dessen bewusster Ausschluss von Unzucht und
Grobheit ihn eindeutig in die Tradition von Wickrams Rollwagenbüchlein stellt.
Der Text legt nahe, dass der Verfasser mündliche Quellen heranzog, obwohl einige
seiner Geschichten in früheren Sammlungen Parallelen haben. Er erzählt vor
allem Anekdoten über Gauner, Diebe und Verbrecher, spielt aber das antiklerikale
Element herunter und vermeidet Geschichten über eheliche Zwietracht zugunsten
eines breiteren satirischen und moralischen Spektrums, wobei er auf die Kalendergeschichten
der Zukunft vorausweist. Die Möglichkeit, dass er Schweizer war.
deutet darauf hin. dass der Kurtzweilige Reyßgespan beträchtlich dazu beigetragen
hat, die alemannische Tradition in Gang zu halten.14'

Die von der mittelalterlichen Erzählkultur ererbte Missverständnis- und Täuschungsgeschichte
wurde bei den deutschen Verfassern und Lesern des 16. Jahrhunderts
beliebt; sie hat ja auch ihre Spuren überall in der modernen deutschen
Literatur hinterlassen - man braucht nur an die vielen Wiederbelebungen Till
Eulenspiegels zu denken. Der Betrüger wird dabei oft zum Betrogenen. Ein gutes
Beispiel ist in Hebels Teures Späßlein (Z 128) zu finden und seinen Prototyp
findet man in Wickrams Von einem lantzknecht und Herr Gott behüt uns (Nr. 7).
Diese beiden Geschichten bieten anschauliche Darstellungen der Erzählstrategien
der beiden Autoren und - wie bereits erwähnt - der Lokalisierung als Merkmal
der alemannischen Tradition. Hebels Geschichte spielt in Basel, seiner Geburtsstadt
. Wickrams Geschichte ist ..im Schweytzerland gen Zürich" angesiedelt. Bei
Wickram ist der Protagonist ein solider Soldat, bei Hebel ist er lediglich ..einer",
d. h.. ein Einzelwesen, der in allen seinen menschlichen Verschmelzungen von
Schlauheit und Einfältigkeit, betrachtet, belauscht und eingefangen wird. Zuerst
Wickram:

Im Schweytzerland gen Zürych ist kommen ein lantzknecht in ein wirdts-
hauß und den wirdt begrüßt umb herberg, dem der wirdt herberg zugesagt.
Zu nacht im essen hat der wirdt dem landzknecht gar ein sauren wein für-
gestelt, der von einem übelgeradtnen jar was, und so die leut in truncken,
sprachen sy: „Herr gott behüt uns, wie ist der wein so säur!", also daß der

156


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-2007-01/0158