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ser und sprach zuletst: „Ach, lieber Herrgott, laß dirs ein witzung („Lektion
" ) sein wind kumb nit mer under die schnöden bösen Juden!" (Nr. 28)
Wickrams zwei ausdrücklich jüdische Geschichten verstärken die Sichtweise,
die dieser Anekdote innewohnt. Nr. 48. Einem Juden büßt (= kuriert) keiner den
husten, demonstriert seine meisterhafte Technik als Erzähler von „kurzen Historien
". Ein Einleitungssatz legt Ort und Stimmung fest, die unverzüglich als Rahmen
oder Folie für den Hauptcharakter der Geschichte, einen alten Juden, gebraucht
werden:
Es sassen auff einmal vil bauren bey einandern in einem dorff in dem
wirthshauß. waren leichtsinnig und guter dingen. Underdem so kumpt ein
alter jud reiten; er saß ab von seinem pferd.furt das in den stall, darmit es
ein wentzig erkület. Er satzt sich auch hinein in das summerhauß, sich zu
erIdilen; dann es war eben im heissen summet: Der jud begert, man solt im
ein kanten mit weisser bringen umb sein gelt.
Wickram geht über die kontroversen Möglichkeiten religiöser Differenzen
hinweg. Bei der Erwähnung von Wasser statt Bier tritt die implizierte Gefahr in
den Hintergrund: der Jude erhält das Wasser, das er verlangt hatte, aber es macht
ihn husten. Das folgende Gespräch stützt sich auf die von Wickram geschaffene
Atmosphäre hochsommerlicher Hitze. Die wunderliche Erklärung des Juden „ich
hust einen regen" ist töricht, selbst wenn sie als Scherz gemeint ist: die Bauern
wollen ja um jeden Preis Regen: einer von ihnen. „wölcher gar bedruncken was",
beginnt ihn zu belästigen, zu treten und des Getreideraubs anzuklagen, weil er
nicht eher gehustet habe. Die anderen stellen wieder Ruhe her, obgleich es für
den alten Juden eine bedrohliche Stille ist. deshalb - die Vorsicht ist ja der bessere
Teil der Tapferkeit - besteigt er sein Pferd und reitet ungehindert davon. Wickram
beabsichtigte, dass seine Geschichten lehrreich seien. Wenn er diese kleine Geschichte
liest, wird auch der moderne Leser zum Nachdenken gezwungen.
Wickrams andere Judengeschichte. Nr. 83. wurde in der 3. Ausgabe hinzugefügt
(1557) und heißt Wie ein geschwinder kund in Italien die Juden umb gros gelt
bracht, das sie mit gutem willen gaben anverdient. Es dreht sich um einen Fall von
Doppelzüngigkeit und einen „leichten Sieg davontragen". Vortrefflich stattet Wickram
seine Geschichte mit tiefblickenden sozialen und psychologischen Erkenntnissen
aus und mit Einblicken in das internationale Netzwerk, das im 16. Jahrhundert
wie auch in Hebels Tagen dem einzelnen Juden, trotz der oft angespannten Beziehungen
zwischen den beiden Gemeinschaften, zu überleben und sich zu entfalten
half
Wie nehmen sich Wickrams Geschichten verglichen mit den neun von Hebel
aus?l?l Rechtlicher Rätselhandel (Z 91) berichtet von einem Juden, der es fertigbringt
- indem er denkt „es ist ja mancher auf dem Rhein reich worden" - durch
seinen Verstand seine Schiffsreise von Basel nach Chalampe im Elsaß zu verdie-
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