http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-2008-01/0143
- Die Menschen ernähren sich ganz anders als heute. Es gibt noch keine Kartoffeln
, keinen Mais, keine Tomaten, keinen Reis, keine Spaghetti, keinen Zucker,
keinen Kaffee, keine Schokolade. Getreidebrei und Bier oder Most bilden die
Grundnahrung, dazu kommen Fleisch (viel Innereien), Fisch, Gemüse. Der Wald
ist wichtig: Beeren, Jagd, im Wald weiden die Schweine. Hunger ist eine regelmäßige
Bedrohung des Menschen, gerade die Jahre um 807 waren eine Zeit europaweiter
Hungerkrise, so auch am mittleren Rhein.
Sie sehen: Ein Hertener im Jahre 807 befand sich in einer völlig anderen,
schwierigeren Lebenslage als ein Hertener - excusez-moi: ich darf auch die Her-
tenerinnen nicht vergessen - als Sie heute.
Noch ein politischer Aspekt: In den Jahrzehnten vor 800 hatten die Franken und
ihr Herrschergeschlecht, die Karolinger, auch in Süddeutschland die Macht übernommen
und bedrängten die einheimischen Alemannen. Seit 768 war Karl der
Große König, seit 800 Kaiser. Eine der Residenzen der Reichsherrscher im Frühmittelalter
war die Pfalz / der Palast in Kirchen (heute Efringen-Kirchen).
In diese Zeit, also in die Zeit Karls des Großen, gehört die Urkunde mit der Ersterwähnung
von Herten. Hier ist sie im Bild: Schäbig, dürftig, mickrig - eine wirre
Schrift - : Ich wundere mich nicht, wenn Sie diesen Eindruck haben. Und die Urkunde
ist klein, sie misst gerade 35 x 13 cm. Sie hat eine so unregelmäßige Form,
dass sie jeder heutige Verwaltungsbeamte wohl gleich dem Papierkorb übergeben
würde. Im Jahre 807 hätte er es aber nicht mit Papier, sondern mit Pergament zu
tun gehabt: Und - Pergament war teuer! Für Dokumente des Alltages hat man nur
den Ausschuss, den Abfall der kostbaren Buchproduktion, die Randstücke, verwendet
. Jedes Pergamentblatt, ob größer oder kleiner, ob quadratisch oder rechteckig
, ob von regelmäßiger oder von unregelmäßiger Form, ob fleckig oder gar
durchlöchert, hat man gebraucht. So auch für Herten.
Pergament ist entfettete, enthaarte, geglättete Tierhaut. Die Universität Marburg
hat unsere Urkunden aus dem Frühmittelalter untersucht und dabei vor allem Häute
von Schafen und Ziegen, aber auch von Hirschen und Rehen festgestellt. Beschrieben
hat man das starke, reißfeste Pergament mit brauner Tinte aus Tintenfischflüssigkeit
, Essig, Ruß, Rotwein, Regenwasser usw. Das Schreibwerkzeug war
eine Vogelfeder oder ein zugespitztes Schilfröhrchen. Bei der Hertener Urkunde
fallen die hoch hinaufgezogenen Buchstabenstriche auf, wie sie sonst nur bei den
Kaiser- und Königsurkunden üblich sind.
Der Text der Urkunde ist - wie allgemein bei den Urkunden bis gegen 1300 - in
lateinischer Sprache verfasst. Im 8./9. Jahrhundert handelt es sich oft - so auch bei
der Hertener Urkunde - um ein barbarisches Latein mit Fehlern, bei deren Anblick
dem heutigen Lateinlehrer des Gymnasiums, der sich am klassischen Latein Cice-
ros und Caesars orientiert, die Haare zu Berge stehen würden.
Inhaltlich bietet die Hertener Urkunde einen Schenkungsvertrag. Eine germanische
Frau namens Emthrud - sie hat nur einen Vornamen, die Familiennamen
kamen erst nach 1200 auf - Emthrud - eine Frau ist die Hauptperson in der ältes-
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