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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
70.2008, Heft 2.2008
Seite: 109
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Johann Peter Hebel

Der sehlaue Pilgrim

Vor einigen Jahren zog
ein Müßiggänger durch das
Land, der sich für einen
frommen Pilgrim ausgab,
gab vor, er komme von Paderborn
und laufe geraden
Wegs zum heiligen Grab
nach Jerusalem, fragte
schon in Müllheim an der
Post: „Wie weit ist es noch

nach Jerusalem?4' Und Abb. 20: Illustration zu „Der schlaue Pilgrim", Holz-

wenn man ihm sagte: „Sie- schnitt 1859

benhundert Stunden; aber auf dem Fußweg über Mauchen ist es eine Viertelstunde
näher," so ging er, um auf dem langen Weg eine Viertelstunde zu ersparen
, über Mauchen. Das wäre nun so übel nicht. Man muß einen kleinen
Vortheil nicht verachten, sonst kommt man zu keinem großen. Man hat öfter
Gelegenheit, einen Batzen zu ersparen oder zu gewinnen als einen Gulden.
Aber 15 Batzen sind auch ein Gulden, und wer auf einem Wege von 700
Stunden nur allemal an fünf Stunden weiß eine Viertelstunde abzukürzen, der
hat an der ganzen Reise gewonnen - wer rechnet aus, wie viel? Allein unser
verkleideter Pilgrim dachte nicht eben so, sondern weil er nur dem Müßiggang
und gutem Essen nachzog, so war es ihm einerlei, wo er war. Ein Bettler
kann nach dem alten Sprichwort nie verirren, muß in ein schlechtes Dorf
kommen, wenn er nicht mehr darin bekommt, als er unterwegs an den Sohlen
zerreißt, zumal wenn er barfuß geht. Unser Pilgrim aber dachte doch immer
darauf, so bald als möglich wieder an die Landstraße zu kommen, wo
reiche Häuser stehen und gut gekocht wird. Denn der Halunke war nicht zufrieden
, wie ein rechter Pilgrim seyn soll, mit gemeiner Nahrung, die ihm
von einer mitleidigen und frommen Hand gereicht wurde, sondern wollte
nichts fressen als nahrhafte Kieselsteinsuppen. Wenn er nämlich irgendwo so
ein braves Wirthshaus an der Straße stehen sah, wie zum Exempel das Posthaus
in Krozingen oder den Baselstab in Schliengen, so ging er hinein und
bat ganz demütig und hungrig um ein gutes Wassersüpplein von Kieselsteinen
, um Gottes Willen, Geld habe er keines. - Wenn nun die mitleidige Wirthin
zu ihm sagte: „Frommer Pilgram, die Kieselsteine könnten Euch hart im
Magen liegen!" so sagte er: „Eben deswegen! Die Kieselsteine halten länger
an als Brod, und der Weg nach Jerusalem ist weit. Wenn Ihr mir aber ein

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