http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-2012-01/0036
ten als neue Machthaber begannen, ihre Gegner in das KZ Oranienburg zu deportieren
, entschloss sich Sichler - sein Büropartner Rosenheim verließ als Jude
gleichzeitig Berlin in Richtung Paris -, für einige Zeit in die Schweiz zu gehen.
Zuvor hatte er Rosenheim noch 15 000 RM zukommen lassen, was ihm später (zusammen
mit weiteren 400 RM, mit denen seine Angestellte an der Grenze in Lör-
rach-Stetten aufgegriffen wurde) als Devisenvergehen ausgelegt wurde, da Rosenheim
als Jude den Status des „Devisenausländers" inne hatte. Sichler wurde schon
in Dresden als alte „Systemgröße" wegen seiner Judenfreundlichkeit von den Nationalsozialisten
angefeindet; und auch sein Buch „Die Arbeiterfrage, eine Kernfrage
des Weltkrieges" aus dem Jahr 1925, das er mit Joachim Tiburtius (dem späteren
Innensenator von Westberlin) gegen die Rechte und ihren Mythos der Dolchstoßlegende
verfasste, dürfte am 10. Mai 1933 auf dem Berliner Opernplatz ein
Raub der nationalsozialistischen Bücherverbrennung geworden sein... Schon ab
März 1933 musste er die „Prozessionen" (Märsche) der NS-Gegner in den Norden
nach Oranienburg mitansehen: unter den Politikern, Künstlern und Intellektuellen
dürften auch einige Bekannte von ihm gewesen sein.
Sichler, der an höchster Stelle im Ersten Weltkrieg Verantwortung getragen hatte
, sich mit der obersten Heeresführung, den Generalen Ludendorff und Hinden-
burg, auseinandersetzen musste, der den stellvertretenden Kriegsminister Wilhelm
Groener bewunderte und auch dessen Ziehsohn Kurt von Schleicher, den letzten
Reichskanzler vor Adolf Hitler, gut kannte, war erfahren genug, um die lauernde
Gefahr zu ahnen.
Deshalb wollte er zuerst einmal 25 km entfernt von Bürgeln, auf Schweizer Boden
, abwarten, wie sich die Lage weiter entwickelt. Das hat ihm vermutlich das
Leben gerettet: Als Ende Juni 1934 während des sogenannten „Röhm-Putsches" -
Hitler ließ die gesamte SA-Führung und viele weitere Personen, darunter auch
Kurt von Schleicher, ermorden - von der Gestapo auch eine Untersuchung gegen
Sichler wegen dessen Bekanntschaft mit von Schleicher eingeleitet wurde, befand
er sich in Basel in Sicherheit.
Und er sollte erst wieder Anfang 1939 nach über vier Jahren deutschen Boden
betreten. So lange hielt er sich in Asien auf, die meiste Zeit in Schanghai. Dort war
er mit dem Einrichten einer der größten Bierbrauereien Chinas beschäftigt, der
„Union Brewery"; auch vermittelte er der Reichswehr Stoffe für deren Uniformen
und Ausrüstung - einen Weltkrieg sah er nicht voraus. Im Übrigen hielt er - als
ehemaliger Beteiligter im Ersten Weltkrieg - einen Sieg für Deutschland wegen
der materiellen Überlegenheit des Auslandes, spätestens nach dem Eintritt der
USA im Dezember 1941, für unmöglich.
Die Judenverfolgung hat er in Schanghai durch die jüdischen Emigranten hautnah
miterlebt (später wird er auf Bürgeln eine Jüdin unterbringen).
In diesen Jahren bestritt er nach wie vor die Ausgaben für Bürgeln. Zu Hause
hatte sich Kammüller als Vorsitzender des Bürgeln-Bundes, seit Gugelmeier 1932
als Präsident des Giroverbandes nach Berlin ging, Bürgelns angenommen. Noch
konnte er die langsam entstehenden Begehrlichkeiten der NSDAP abwenden.
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