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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
76.2014, Heft 1.2014
Seite: 189
(PDF, 41 MB)
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schick" (...), damit von den Gottene und Göttis, den Onkeln und Tanten und
Großmüttern das nötige Jahrmarktgeld zusammenkam. Es wurde mit Fünferli und
Zehnerli gerechnet, eine halbe Mark war schon sehr viel."28

So wurden die Kinder in die Rechenhaftigkeit der Marktlogik eingeführt.

Da Geld knapp war, versuchte man, gratis einen Blick auf Attraktionen wie die
Raritätenbude zu erhaschen. Wehe, wenn einen der Besitzer erwischte!

Der Jahrmarkt war ein Erlebnis für alle Sinne:

„Herrlich strich der Duft der großen heißen Würste später von den Metzgerständen
durch die Budengasse und machte uns ordentlich «gluschtig». Dazu kamen
noch die knusprig braunen Wurstwecken der Bäcker. Die Wurstwecken sind ja
heute noch das Nationalgebäck des Müllheimer Jahrmarkts. Es roch nach gebrannten
Mandeln, Lebkuchen und Gewürzen aller Art."29

Der Versuchungen waren zahllos, und oft machten die Knaben Kassensturz,
wenn sie straßauf, straßab gingen. „Oft drehten wir unsere Zehnerli in den Fingern
, bevor wir einen Kauf wagten."30 Besonders begehrt war eine Fahrt auf der
Rössliritti. Dann kamen weitere Attraktionen hinzu, so ein Berg-Tal-Karussell mit
Dampflokomotive, im Jahre 1911 zudem der sogenannte „Taifun" oder das „Teufelsrad
", gleichsam Ausdruck einer sich rasch technisierenden Welt.

„In einem Jahrmarktszelt erlebte ich auch das erste Kino. «Weltkinematograph»
stand über dem Zelteingang. Eine sehr flimmernde Sache, doch was für ein Fortschritt
gegenüber den runden Gucklöchern, durch die wir einst im «Welt-Panorama
» den russisch-japanischen Krieg von 1904/05 und die Katastrophe des Zeppelin
-Luftschiffes LZ 4, das auf einer Deutschlandfahrt bei Echterdingen in der Nähe
von Stuttgart verbrannte, sahen."31

Jüdische Nachbarn

Gegenüber den Fischers wohnte der Jude Maier Heim. Fritz Fischer ging im Hof
aus und ein und spielte dort mit anderen Kindern. Da Maier Heim am Sabbat nicht
arbeiten durfte, übernahm Fischer für ihn kleine Dienste und erhielt dann immerhin
70 Pfennig. Fischer gewann Freude an den jüdischen Sitten und Bräuchen.
Wie er schreibt, waren 1900 von knapp 3000 Einwohnern Müllheims immerhin
266 Israeliten, im Jahre 1910 hatte ihre Zahl beträchtlich abgenommen und betrug
noch 170.32 Leider wurde die Müllheimer Synagoge im Jahre 1968 abgebrochen.
Für den jungen Fritz Fischer war es ein besonderes Erlebnis gewesen, dort zusammen
mit seinem Vater, der die Juden ebenfalls achtete, einen Festgottesdienst zu
besuchen. Er war erstaunt darüber, dass alle Männer Hüte aufhatten und während
des Gottesdienstes nickten.

Fischers Kindheitserinnerungen sind ein Dokument religiöser Toleranz um 1900
und verdienen unsere Aufmerksamkeit. Der Antisemitismus grassierte zwar leider
schon im Kaiserreich33, es gab aber auch im breiten Volk viele Menschen, die Juden
achteten und ihnen respektvoll begegneten. Dies sollte man beachten, wenn

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