http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-2016-01/0117
Malverbot belegten Künstler nach dem Krieg die Kontinuität mit der jüngeren Generation
suchten, widerlegt die Tatsache jedoch nicht, dass der Expressionismus
1950 längst seinen Ausklang gefunden hatte. Ibenthaler wusste das ! -
Von seinen fast 100 Aussprüchen, die in seinem von ihm verfassten Buch stehen,
lautet die erste Sentenz fast programmatisch. „Es gibt in der bildenden Kunst am
Ende des 20. Jahrhunderts nichts Entscheidendes, das nicht schon im ersten Viertel
vorgegeben worden wäre."
Da Ibenthalers Werk in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts einzuordnen ist,
muss es erlaubt sein, diese vom Künstler selbst gemachte Feststellung auch auf
sein eigenes Schaffen zu beziehen.
Bemerkenswert ist, wie schon erwähnt, dass die Mehrzahl der Bilder von Paul
Ibenthaler undatiert blieb. Er begründet dies, wie seine Witwe Frau Regina
Ibenthaler versicherte, mit der Tatsache, dass seine Bilder hin und wieder erneut
zur Überarbeitung auf der Staffelei standen und er sich insofern nicht festlegen
mochte.
Für den Kunsthistoriker dürfte es schwierig oder gar unmöglich sein, eine chronologische
Entwicklungslinie in seinem Werk auszumachen oder Unterscheidungen
mit eklatanten Stilbrüchen innerhalb einzelner Schaffensperioden zu treffen.
Einen Anschluss an neuere künstlerische Strömungen, an denen das 20. Jahrhundert
nicht gerade arm war, lehnt Ibenthaler mit dem Hinweis ab, es handele
sich z. T. um Modeerscheinungen. Vor allem der gegenstandslosen Malerei, die
unter den Einflüssen der Pariser Schule und aus Amerika in den 50er Jahren auch
in Deutschland Verbreitung fand, erteilt Ibenthaler eine klare Absage.
Bleibt festzuhalten, dass Paul Ibenthaler im Laufe eines langen Künstlerlebens
ein Werk von künstlerischem Niveau geschaffen hat, über dessen enge Verflechtungen
mit dem Expressionismus jedoch nicht hinweg gesehen werden darf.
Nun haftet der Anlehnung an künstlerische Vorbilder, auch wenn diese individuell
umgesetzt wurden, leicht etwas Negatives an, weil sie auf ein Defizit an Originalität
hinzuweisen scheint. Daher ist zu zeigen, wie ungerechtfertigt es wäre,
Ibenthalers Werk als epigonal und eklektizistisch einzustufen oder schlimmer
noch, es als zweiten Aufguss des Expressionismus zu disqualifizieren.
Um diesen Nachweis zu führen, werfen wir nun zunächst, - wie eingangs bereits
angedeutet, - einen Blick auf den zeitgeschichtlichen Hintergrund, vor dem
Ibenthalers Arbeitsanfänge anzusetzen sind.
Das Jahr 1945, nach dem totalen Zusammenbruch in Deutschland, wird gerne
mit dem Schlagwort „die Stunde Null" apostrophiert. Was für die Bereiche Politik
und Wirtschaft galt, traf freilich auch für das allgemeine Kulturgeschehen zu.
Die künstlerische Avantgarde war in den 12 Jahren der Nazi-Herrschaft wie ausgelöscht
. Viele Künstler waren ins Ausland emigriert und solche, die unter dem faschistischen
Herrschaftssystem in Deutschland überlebten, blieben im Verborgenen
und traten nach dem Krieg nur ganz allmählich wieder in die Öffentlichkeit.
Ihre Bilder waren von den Nazis aus den Museen entfernt, verbrannt oder ins Ausland
verschachert worden. Der Mehrheit der breiten, vor allem jüngeren Bevölke-
115
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-2016-01/0117