http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/montebaur1931/0017
EINLEITUNG
« Das geschriebene Buch des Mittelalters ist unser wichtigstes Mittel
für die Erkenntnis der Ideen, der geistigen Entwicklung und literarischen
Veranlagung von Gemeinden und Staaten, überhaupt Kulturträger
im eminentesten Sinne des Wortes. Die blosse Notiz, dass zu einer bestimmten
Zeit an einer bestimmten Stätte eine Handschrift vorhanden
gewesen, beweist als Grundbedingung das Bedürfnis einen solchen literarischen
Schatz zu besitzen, ferner die Notwendigkeit der Beschaffung
eines oder mehrerer Originale, aus denen er gehoben werden sollte, und
setzt einen kundigen librarius, wo nicht ein geschultes scriptorium mit
Künstlern in ihrem Fache voraus. So bildet der Kodex einen Zeiten und
Völker überdauernden Markstein geistiger Betätigung. Die Herrschaft
der Ideen als der treibenden Elemente in der Weltgeschichte ist proklamiert
, allein die Verwertung der urkundlichen Beweise für den Gang
derselben ist kaum noch begonnen » (i).
Seitdem R. Beer dies in seinem Aufsatze über die Handschriftenschätze
Spaniens geschrieben, hat die Forschung sich doch in weitem
Masse auch dieser Aufgabe unterzogen. Am bedeutsamsten ist das
grosszügige Unternehmen, welches das Kartell der deutschen Akademien
in Angriff genommen hat: die Veröffentlichung der mittelalterlichen
Bibliothekskataloge.
Neben dieser Arbeit von allgemeingeschichtlicher Bedeutung, deren
Aufgabe lediglich im Nachweis des einzelnen Werkes in den einzelnen
Bibliotheken beruht, müssen gleichzeitig andere herlaufen, mehr ortsgeschichtlicher
Art, die zu zeigen versuchen, wann die Ideen in Gestalt
der Bücher an einer einzelnen Stelle Wurzel geschlagen, wie sie gepflegt
wurden, ob sie erblüht sind und welche Früchte sie getragen haben (2).
1) R. Beer, Handschriftenschätze Spaniens. Sitzungsberichte der Kaiserl.
Akademie d. Wiss. z. Wien phil.-hist. Klasse 124 (1891) 6. Abh., S. 4.
2) Der dankenswerte Versuch : Die Theologie der Rheinlande von 925-1925
von H. Bruders S. J. Düsseldorf 1926 zeigt, dass eine restlose Behandlung
eines solchen Themas unbedingt eine eingehende Kenntnis der Klosterbibliotheken
und der aus ihnen erkennbaren Stellungnahme der Orden zu den wissenschaftlichen
theologischen Fragen zur Voraussetzung haben muss.
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