http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mueller1830/0012
Die Entwickelung des Geschlechtes in dem Embryo 1^ einer
von den Punkten, worüber die Physiologie zwar mehrere theoretische
und hypothetische Versuche aufzuweisen hat, wozt*
aber noch wenig thatsächliches und keine hinlängliche erfah-
rungsmässige Basis, welche doch jede weitere Untersuchung so
gut wie ihren Stoff haben muss, vorhanden ist. Was können
uns alle Vermuthungen über die Ursachen des Geschlechts-Unterschiedes
nutzen, wenn wir nicht mit unbestrittenen Erfahrungen
wissen, wie die Genitalien, und aus welchen Theilen
sie zuerst entstehen, und wie sie sich von Schritt zu Schritt
ausbilden, wenn wir hierüber nicht vollständige Beobachtungen
von mehreren Thieren und vom Menschen mit gleicher Genauigkeit
besitzen.
Gelegenheit, Neigung, Uebung in microscopischen Arbeiten
haben mich dazu geführt, eine auf blosse Beobachtung und
anatomische Empirie gegründete Untersuchung dieser Art bei
Embryonen der Amphibien, Vögel, Säugethiere und des Menschen
seit den letzten Jahren zu verfolgen. Der Gegenstand
mag es entschuldigen, wenn ich nur meine Erfahrungen und
Beobachtungen, ohne weitere Reflexion zusammenstelle.
Ich bin zwar immer ein Freund von einer mit Methode
angestellten, gedankenvollen, durchdachten, oder, was dasselbe
ist, philosophischen Behandlung eines Gegenstandes, Denn philosophische
Einsicht ist mir überhaupt mit vernünftiger Einsicht
gleichbedeutend. Ich meine aber damit nicht eine Art,
welche ohne hinlängliche erfahrungsmässige Begründung zu einem
Resultat kommen kann , oder die sogenannte naturphilosophisch
e Manier, die ich bereits früher zu charakterisiren
gesucht habe, indem ich sie falsche Naturphilosophie nannte, die
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mueller1830/0012