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Beschreibung der einzelnen Strassen.
1. Von Augusta Praetoria nach Vienna.
Augusta Praetoria war die alte Hauptstadt der Salasser an den Ufern des Dora-Baltea, das
heutige Aosta. Sie wurde von Kaiser Augustus neu gegründet und als ein Hauptstützpunkt für die
Marschlinien über den grossen und kleinen Bernhard mit starken Festungsmauern versehen.
Die Heerstrasse von da über den kleinen Bernhard (Alpes Grajas) führt zunächst nach Arebri-
gium (Derbij) 25 M. nach der P. T. (in Wirklichkeit nur 16). Dann folgt: Ariolica (la Thuille) 16 M.
weiter. Die auf diesem Wege in Pri St. Didier befindlichen Thermen waren schon von den Römern
benützt, welche auch den nahen Lacus Henus (Lac Combat) kannten. Die Station Alpa Graja,
6 M. von Ariolica dürfte in der Oertlichkeit des Hospiz (2200 m Höhe) zu suchen sein. Hier fand man
Ueberreste eines römischen Tempels, eine JWssäule, und es heisst ein aus grossen rohen Steinblöcken
gebildeter Kreis, der Cirque Hannibal, da angenommen wird, dass dieser Kriegsheld hier den Ueber-
gang über die Alpen bewerkstelligt habe. Die weitere Station Bergintrum liegt schon im Thal der
Isara (Mre), dessen linken Ufer sie bis zur St. Axima Ceutrorum (Aixme) folgt. Darantasia Ceutro-
rnm ist die Hauptstadt der Provinz Alpes Grajas, das heutige Moutiers. — Die weitere Führung dieser
Strasse bis nach Vienna an der Rhone ist aus der Karte ersichtlich. In dieselbe haben wir auch noch
die schon ganz in Gallien liegende Heerstrasse von Vienna über Lugdunum, St. Andematunus
(Langres) und Divodurum (Metz) nach Augusta Trevirorum (Trier) aufgenommen. Man sieht daraus
am klarsten, welche hohe Bedeutung dieselbe als strategische Marschlinie und als Basis aller Kriegsoperationen
gegen die deutschen Angriffe hatte.
Zur Ergänzung der Alpenpässe führen wir noch an, dass schon zur Römerzeit auch eine Strasse
über die Cottischen Alpen (Alpes Cottiae) führte, welche die Hauptstadt Augusta Taurinorum (Turin)
mit der Hauptstadt Arelate (Arles) der Prov. Narbonensis verband.
Die Heerstrasse Nr. 2 von Augusta Praetoria nach Augusta Rauracorum.
Diese Strasse bildete zur Röinerzeit die wichtigste Aufmarschlinie von Italien an den Rhein
und war noch im Mittelalter, von Vevey an, die Hauptverkehrsstrasse von Nord nach Süd.
Nach der P. T. ist die erste Station von Aosta aus mit der Distanzangabe 16 M. Eudracium
(St. Rem;/?), dann folgt die St. Summus poeninus (Hospiz des grossen St. Bernhard) 2473 m Höhe.
Hier ist im Kloster eine sehenswerthe Sammlung von römischen Alterthümern, worunter ein dem Jovi
Poenino gewidmeter Altarstein. Vom Hospiz aus führt die Strasse in Windungen von 12—15 o/0 Gefäll
nach Bourg St. Pierre, wo eine Wegsäule mit der Distanzangabe 23 M. ab Forum Claudii (Mar-
tigny) aufgefunden wurde. Der jetzige Uebergang über den grossen Bernhard dürfte seit den Römerzeiten
wenig Verbesserungen erfahren haben, denn er ist heute noch so primitiv, dass er den heutigen
Verkehrsansprüchen nicht mehr genügt. Die Breite der gepflasterten Fahrbahn ist 3 m, von St. Pierre
abwärts 4 m. Ob diese Eindeckung noch von den Römern herrührt, ist sehr fraglich, da bei diesen
Alpenpässcn so viele Verwüstungen vorkommen, dass stets Erneuerungen nöthig sind. Von St. Pierre
abwärts bis Orsifo-es, namentlich bei letzterem Ort und weiter abwärts über Sembrancher nach Martigny
ist die alte Strasse so corrigirt, verbessert und im Gefäll ausgeglichen, dass von Spuren der Römerstrasse
nichts mehr zu sehen ist.
Die Hauptstadt des Walliserthales war zur Römerzeit Octodurum in geschützter breiter Thal-
ebene am Ausgang des Bagneth&lcs, in das Thal der Rhone, da wo jetzt das heutige Martigny liegt,
Auf den Wiesen hinter der Stadtkirche stiess man ] 884 auf die Substructionen eines grösseren römischen
Gebäudes, dessen Skulpturstücke sowie die dabei gemachten Funde in das Cantonalmuscum nach
Sion verbracht wurden. In der Kirche ist eine Wegsäule eingemauert, eine andere dient als Pfeileruntersatz
eines Kellergewölbes. Von Martigny aus ging ein alter Verbindungsweg über St. Pierre de
Clage nach Sitten, Sion, dem römischen Sedunum! — Bei beiden Alpenpässen fällt uns auf, dass die
Itinerarien, namentlich von Aosta her bis zu den Hospizen, beim Uebergang des kleinen Bernhard
47 M , bei dem des grossen Bernhard 38 M. angeben, während in der Wirklichkeit diese Entfernungen
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