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melshausen übernahm den Ichton der Erzählung, der dem Ganzen
den Charakter des Erlebten verleiht, aber er hat nicht einfach den
Picaro auf deutschen Boden verpflanzt. Der Held seines Romans,
Simplicius, ist von edlem Geblüt und steht auch moralisch höher.
Ritterlichkeit und Freundestreue, die sich in allen Notlagen bewährt,
bilden die sittliche Grundlage seiner Persönlichkeit. Er ist mit seinen
Vorzügen und Schwächen eine Kristallisation deutschen Wesens.
Der eigentliche Picaro erscheint in einer Nebenperson des Romans,
der Gestalt des Räubers Olivier. Vor allem aber gab Grimmelshausen
der bunten Fülle des Stoffs einen planmäßigen Aufbau
. Man kann die fünf Bücher des Romans im ganzen gesehen
mit den fünf Akten des klassischen Dramas vergleichen, nur daß
die steigende Handlung zwar zu äußeren Ehren, aber aus dem
Zustand der Unschuld in Versuchung und Überheblichkeit führt und
der Höhepunkt in moralischer Beziehung so ziemlich den Tiefpunkt
darstellt, worauf dann Läuterung und Einkehr folgt. Das letzte Buch
weist auf das erste zurück, da Simplicius Knän und Meuder wiederfindet
, Aufklärung über seine Herkunft erhält und in das Einsiedlerleben
seines eigentlichen Vaters zurückkehrt. Das zweite und vierte
Buch sind durch die persönlichen Beziehungen zu Olivier und Herzbruder
und durch die Erfüllung von Prophezeiungen kompositio-
nell verbunden. Ein Fortschritt gegenüber dem Schelmenroman liegt
schließlich noch darin, daß Grimmelshausen den Erziehungsgedanken
in die Abenteuerkette legte und dem Ganzen aus
eigenem Erleben den großen Zeithintergrund gab.
über den erzieherischen Zweck, den er mit dem „Simplicissimus"
verbindet, hat sich Grimmelshausen am Anfang des sechsten Buches
ausgesprochen. Er sagt da: „Wenn sich jemand einbildet, ich erzähle
nur darum meinen Lebenslauf, damit ich dem einen oder andern die
Zeit kürze oder, wie die Schalksnarren und Possenreißer zu tun
pflegen, die Leute zum Lachen bewege, so findet sich derselbe weit
betrogen. Denn viel Lachen ist mir selbst ein Ekel, und wer die
edle, unwiederbringliche Zeit vergeblich verstreichen läßt, der verschwendet
diejenige göttliche Gnade unnützlich, die uns verliehen
wird, unserer Seelen Heil zu wirken . . . Daß ich aber zu Zeiten
etwas possierlich aufziehe, geschieht der Zärtlinge halber, die keine
heilsamen Pillen schlucken können, sie seien zuvor überzuckert und
vergoldet. Denn selbst die allergravitätischsten Männer, wenn sie
lauter ernstliche Schriften lesen sollen, pflegen ein solches Buch
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