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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
43. Jahresband.1963
Seite: 222
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sessen zu haben; wir wissen, daß man Aussatz verdächtige von Luzern nach
Konstanz verbrachte, um ihre Erkrankung im dortigen Siechenhaus von den
Insassen feststellen zu lassen. Wurde vom Arzt attestiert, daß kein Verdacht vor
liege, so gab es auch hierfür noch besondere Formularien, die vom Schultheiß
unterschrieben und besiegelt werden mußten.

Es ist nun ungemein bezeichnend für das Gemeinschaftsleben im Mittelalter,
daß die zunächst vom Arzt und seinen Helfern angeordnete Einweisung in ein
Leprosorium in besonderen, feierlichen, kirchlich-religiösen Formen durchgeführt
wurde. Sie charakterisiert die völlige Wandlung, welche der Rationalismus der
späteren Jahrhunderte auch in dieser Beziehung vollzogen hat.

In seiner „Geschichte der Stadt Offenburg" hat Dr. Otto Kähni diese charakteristische
Einstellung des mittelalterlichen Menschen in ebenso prägnanter wie
erschöpfender Weise dargestellt: „Die Sinnfälligkeit, mit welcher der mittelalterliche
Mensch seine Handlungen auszustatten liebte, hatte auch in diesem Fall
Formen geschaffen, in welchen das religiöse Verbundensein von Sünde, Krankheit,
Erbarmen zum anschaulichen Ausdruck wurde. Man stand dem Phänomen der
Seuche als einer Heimsuchung besonderer Art gegenüber: alles nur naturwissenschaftliche
Denken lag meilenfern. Gott hatte diese Menschen geschlagen. So galten
sie in einer besonderen Weise berührt von der Hand Gottes, das Strafende
wandelte sich zur Auszeichnung, sie trugen die Sünde der Welt und wurden nicht
ohne tiefere Beziehung die Guten Leute genannt."

Aus dieser religiös-humanen Bindung des gesunden zum kranken Menschen
stammt also das Wort von dem Haus der Guten Leute, dem Gutleuthaus. Und so
ergab es sich, daß auch der Vollzug der Kasernierung, wie wir heute trocken und
erbarmungslos sagen würden, in Formen abspielte, die Ausdruck jener mittelalterlichen
Sinnfälligkeit waren: in einem gottesdienstähnlichen Schauspiel, das man
mit den Aussätzigen spielte, sehr ernst. Es sollte die Absonderung der Kranken von
den Gesunden, der Geschlagenen von den Heilen, der Ausgestoßenen von den
Bleibenden, die Entlassung aus der bürgerlichen und kirchlichen Gemeinschaft sinnvoll
deutlich machen.

Da wurde in der Kirche eine Bahre aufgestellt oder ein schwarzes Tuch ausgebreitet
, darauf sich der Kranke mit verhülltem Gesicht ausstrecken mußte. Dann
wurde für ihn eine Messe wie für einen Toten gelesen. Darauf empfing er die
Kommunion. Sodann überreichte man ihm das Kleid, das die Aussätzigen tragen
mußten. Jeder erhielt eine Klapper, Handschuhe, eine Krücke, einen Wasserkrug,
ein Breihäfelein, ein Kesselein und eine Pfanne. Nach Abschluß dieser Handlung
zog man in einer Prozession, der Pfarrer im Ornat voraus, begleitet von Chorknaben
, die Weihwasser streuten oder brennende Kerzen trugen, wie auch die
Männer, Frauen und Kinder, welche den Zug beschlossen. Schließlich ging es durch
das Stadttor hinaus zum Gutleuthaus, von dem die meisten Aussätzigen niemals
wieder in die Stadt, in die Gemeinschaft zurückkehrten.

Wenn der Kranke dann in die außerhalb der Stadtmauern gelegene Zufluchtstätte
der Feldsiechen, der Sondersiechen, wie man sie auch nannte, gekommen war,
trat er in eine Gemeinschaft besonderer Art ein. Hier herrschten, vom Siechenvater

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