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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
46. Jahresband.1966
Seite: 127
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wohnern im Jahre 1827 wuchs sie auf 4000 im Jahre 1900 an. Und die nächsten
50 Jahre brachten eine weitere Verdoppelung auf rund 8000. Nicht nur die Reichweite
der Industrien war gewaltig ausgedehnt worden, auch das Stadtgebiet hatte
sich durch Eingemeindungen vergrößert. Zu Loh und Oberdorf kamen 1872
Fernach, 1880 Wolfhag, 1936 Gaisbach und 1939 die Hilsen. Nicht die Einwohnerzahl
war dabei entscheidend, sondern der Zuwachs an Bodenvermögen,
vor allem Wald, Reben und Ackerflur.

Es war nicht nur der allgemeine wirtschaftliche Aufschwung, an dem Oberkirch
teilhatte, die Nähe des 1871 wieder deutsch gewordenen Straßburg tat ein
übriges. Alte Zusammenhänge wurden neu lebendig und Oberkirch entdeckte
gewissermaßen aufs neue den Fremdenverkehr, der in den Badeperioden der
vergangenen Epochen wenigstens für das Hintertal von besonderer Bedeutung
geworden war11). Die herrlich gelegene Stadt Oberkirch wurde bis zum ersten
Weltkrieg ein beliebtes Ausflugs- und Erholungsziel der Stadt über dem Rhein.

Betrachten wir die ersten fünf Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts als Zeit der
Vorbereitung, so dürfen wir die letzten drei Jahrzehnte vor dem ersten Weltkrieg
als jene der Ernten bezeichnen. Und noch immer wuchs die Stadt. Der Kniebisweg
hatte sich als ein Irrtum erwiesen; der selbstgeschaffene Ausgang nach dem
Rheintal durch Straßen und Bahn zeigte sich lukrativer. Oberkirch schaute gegen
Westen. Weit über die Staatsgrenzen hinaus: die Papierfabrik, seit 1865 als Industriewerk
aufgezogen (damals wurde die erste vollmechanische Papiermaschine
aufgestellt) lieferte bis nach Asien, und aus den alten Schmieden waren unterdes
weltbedeutende Eisenwerke geworden. Hinter diese Entwicklung setzte das unglückliche
Ende des ersten Weltkrieges einen vorläufigen Schlußpunkt. Die Stadt,
die auch ihr Fremdeneinzugsgebiet durch die französische Grenzziehung verloren
hatte, wurde durch den Verlust der Auslandsmärkte ihrer Industrie wieder in
eine Ausgangsposition zurückgeworfen.

Wir alle kennen noch aus Erfahrung die schweren Krisenjahre am Ende des
dritten Jahrzehnts unseres Jahrhunderts. Daß sie sich in Oberkirch nicht so stark
ausgewirkt haben wie anderwärts, ist auf die Rechnung jener gesunden Wirtschaftsstruktur
zu setzen, die sich die Stadt durch die Einbeziehung der landwirtschaftlichen
Vororte geschaffen hatte. Die Oberkircher Industriearbeiter waren
fast alle Kleinbauern. Neben dem Verdienst durch die Fabrikarbeit konnten sie
sich aus dem Ertrag ihrer Gütchen wenigstens ernähren und so in der schlimmsten
Zeit über Wasser halten. Die einsichtigen Unternehmer verstanden es, durch
Kurzarbeit die Lasten der Krise gleichmäßig auf alle Schultern zu verteilen und
völlige Entlassungen zu vermeiden. Und ihrer zähen Arbeit gelang es, nach und
nach wieder im Ausland Boden zu gewinnen und neue Verdienstmöglichkeiten
zu erschließen. Gerade in dieser Krise bewies die Stadt, daß ihre Bewohner reif
genug waren, ihr Geschick selbst in die Hand zu nehmen. Ohne sich dem Fortschritt
und dem Gebot der Stunde zu verschließen, verließen sie nie den Boden
der Sicherheit, trauten sie nie bedenkenlos einer zeitbegrenzt herrschenden Kon-

11) Die Bäder des Hintertals erlebten bis dahin zwei Blütezeiten: im 16./17. und um die Wende des
19. Jahrhunderts. Oberkirch war als Etappenstation und Sitz der medizinischen Behörden daran mitbeteiligt.

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