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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
46. Jahresband.1966
Seite: 224
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1966/0226
Mein Vater hatte die Beschwerde zurückgewiesen: Meine Arbeit sei mit seiner
Einwilligung erfolgt, sie habe Nutzen gehabt. Schnaufend vor Empörung war
das Fräulein abgezogen. Die also gestörten Beziehungen zwischen Schulhaus und
Pfarrhaus gestalteten sich im kommenden Jahr eisig. Als ich wieder einmal Eis
hacken wollte, betraf ich meine Feindin bei der gleichen Arbeit, nur hatte sie
einen anderen Zweck: Ein Eisbeutel lag in ihrem Korb. ,Mhm' dachte ich: ,Krankendienst
'. Rasch entschlossen nahm ich dem ältlichen Fräulein das Äxtlein aus
der Hand, zerkleinerte die von mir erhackten Eisbrocken, füllte den Beutel, legte
ihn in den Korb und trug ihn auf den Pfarrsteg, dann half ich dem Fräulein über
die Böschung hinauf, zog meine Mütze und brachte mich in Sicherheit. Am Dreikönigstag
wurde ich mit meinen Geschwistern eingeladen, den Christbaum im
Pfarrhaus abzuräumen.

Nur ein Mensch war dem Fräulein hold, es war der Kaplan. Bevor er einen
Dienstgang antrat, hatte er sich beim Fräulein Luis abzumelden, mit der Angabe
des Zieles. Er wurde durchgemustert gleich den Schulbuben und den Schulmädchen
. Das geringste Stäubchen am Anzug wurde scharf gerügt und mit scharfem
Bürstenstrich entfernt. War er in ein Regenwetter oder in einen Schneesturm
gekommen, so hing frische Wäsche am Ofen, und Selbend-'toffel standen bereit.
Auch ein Paar Socken war vorgewärmt. Und auf dem Tisch duftete ein Glas
Würzwein. Jegliches Dankeswort lehnte sie schweigend ab.

Am Morgen des ersten Urlaubstages hing das Ränzlein am Kleiderständer,
daneben der Regenschirm. Im Wettermantel stak der prall gefüllte Geldbeutel.
Auf einem Zettel waren die Unterkünfte vermerkt.

Das Fräulein Luis' liebte „ihren" Kaplan mütterlich. Das war kein Luxus: er
hatte weder Vater, noch Mutter, noch Geschwister, noch Verwandte; er stand
wirklich mutterseelenallein in der Welt. Wie ausnehmend wohl sich der also Bemutterte
unter dieser barschen Herzenswärme fühlte, zeigte sich, als er Pfarrer
werden sollte: Das erzbischöfliche Ordinariat hatte ihn aufgefordert, sich um eine
Pfarrstelle zu bewerben. Er antwortete, er fühle sich als Alleinstehender in der
mütterlichen Fürsorge der Pfarrschwester so ungemein wohl, daß er sich zum
Scheiden aus dem Neusatzer Pfarrhaus nur dann zu entschließen vermöge, wenn
die priesterliche Gehorsamspflicht es erfordere.

Der Erzbischof gab ihm noch ein Jährlein Frist, mußte jedoch nach dessen Ablauf
nochmals mahnen. Die Bitte des Vikars um weitere Belassung in Neusatz
begründete dieser damit, daß der Pfarrherr schwer leidend wäre. Er erhielt weitere
zwei Jahre Gnadenfrist. Die Amtsbrüder des Kapitels nannten ihn deshalb
den „ewigen Kaplan".

Mit hart geschlossenem Mund hatte das Fräulein Luis' ihren Kaplan schließlich
doch verabschiedet — aber im Reisemantel fand der trauernde nunmehrige Pfarrherr
beim Geldbeutel noch eine Brieftasche mit einigen Hundertern für die erste
Ausstattung des Herrn Pfarrers.

Sein Prinzipal erlag 1898 seinem Leiden, und damit war das „Regiment" seiner
Schwester zu Ende gegangen. Vergessen haben die Neusatzer das Fräulein Luis'
jedoch nicht.

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