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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
53. Jahresband.1973
Seite: 63
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des Dichters ab. Von der Kühnheit und dem Listenreichtum, den im Roman der
Jäger von Soest beweist, schloß man auf „das große Geltungsbedürfnis Grimmelshausens
"52. Ja, nicht nur derlei psychische Eigenschaften Grimmelshausens, sondern
auch die Größe, die Haarfarbe und selbst seine Einstellung zu den Frauen
glaubt man aus dem Werk erfahren zu können. Von dem Vers, der von des Simplex
erwachender Neigung zum schönen Geschlecht kündet, wurde auf Grimmelshausens
Faible für die Frauen geschlossen:

„Simplex, der Jäger, zu buhlen fängt an / Ihm seien die Jungfrauen gar sehr zugetan
."53

Man nahm allen Ernstes an, daß der Dichter „wirklich in des Simplex beschriebener
Haut gesteckt habe"54.

Mit dieser Art biographischer Deutung des Werkes - und die letztgenannten Beispiele
zeigen dies sehr eindrucksvoll - entstand ein Grimmelshausen-Bild, in dem
Dichtung und Wahrheit bunt vermengt waren. Das, was man als Lebensgeschichte
ausgab, war in Wirklichkeit eine Stilisierung, die mehr über die Erwartungen und
Vorstellungen der Interpreten und ihrer Zeit aussagt als über den Dichter. Was
eine Grimmelshausen-Sfograpfce sein sollte, geriet unter der Hand zur Grimmelshausen
-Legende, in der Regel zur Glorifizierung des Dichters als Idealfigur. Je
nach den gerade geltenden politischen, religiösen oder gesellschaftlichen Ideen
wurde das Bild eines Mannes entworfen, der in idealer Weise äußere Vollkommenheit
und innere Werte in sich vereinigte: Als kraftvoll-imposante Natur, vital,
fleißig, geschickt - so wird er uns geschildert. In Busses Erzählung „Zum silbernen
Stern" wird sein „kühnes, schmalgebautes Antlitz"55 beschrieben, sein herrenhaftes
Auftreten, sein furchtloses Wesen. Anderen Interpreten zufolge war er ein Verächter
aller städtischen Kultur und ein echtes Naturkund. Den „Bergen" habe
„seine Sympathie" gehört, und mit Freude „wird der junge Schaffner das enge
Tal hinaufgeritten sein und das mondäne Leben in der wilden Natur um die
Bäder Griesbach und Peterstal schmunzelnd beobachtet haben, als die abgezirkelteren
Verhältnisse in der Stadt, wo er sich fremd und unbehaglich fühlte"56.

Nicht vergessen sei die Rede von Grimmelshausen als dem Mann aus dem Volk,
der „bodenständige Gesinnung"57 bewies. Der Begriff des Volksschriftstellers
kehrt seit etwa hundertfünfzig Jahren immer wieder: „in Herz und Nieren Volksschriftsteller
"58, „der größte Volksschriftsteller seines Jahrhunderts"50. - Und

52 Busse, Grimmelshausen, S. 19; Burger spricht vom „auffallenden Selbstbewußtsein" Grimmelshausens
(Annalen der deutschen Literatur, S. 384); häufig ist von seinem „Pessimismus" die Rede (so bei
Schölte, Der Simplicissimus, S. 40, und Burger, Annalen der deutschen Literatur, S. 386), was im Hinblick
auf Grimmelshausens vanitas-Gläubigkeit völlig unangemessen ist.

53 Grimmelshausen, Gesammelte Werke, Bd. 1, S. 297.

54 Busse, Grimmelshausen, S. 54.

55 Hermann Eris Busse: Zum silbernen Stern. Leipzig 1940, S. 3.

56 Schölte, Der Simplicissimus, S. 138, 139.

57 Schölte, Der Simplicissimus, S. 32.

68 Schölte, Der Simplicissimus, S. 137. Ähnlich: Er ist vom „Ethos des Volksschriftstellers" erfüllt (Burger,
Annalen der deutschen Literatur, S. 383). „Ideal eines Volksschriftstellers" (de Boor-Newald, Geschichte
der deutschen Literatur, Bd. 5, S. 375).

59 Busse, Grimmelshausen, S. 45.

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