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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
53. Jahresband.1973
Seite: 71
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gangen ist. Sie zeigt, welchen Anforderungen und Widersprüchen sich das Bürgertum
im 17. Jahrhundert dadurch ausgesetzt sah, daß es von der Ökonomie - etwas
eminent Irdischem und Hinfälligem! - ausgehend den Weg des Aufstiegs suchen
mußte. Weder Rassisch-Volkhaftes noch Klassenkämpferisches will Grimmelshausen
im „Simplicissimus" propagieren, wohl aber ethische Werte, die das Zusammenleben
der Menschen zu steuern und seine Erlösung zu gewährleisten vermögen
. Vor der vanitas zählt nur Tugend und Glaube. Die kosmischen Dimensionen
, die der Roman vergegenwärtigt, bezeugen den umfassenden Anspruch,
den Grimmelshausen mit ihm verbindet: nämlich aus der Perspektive des Bürgertums
die religiösen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Forderungen an den
Menschen einem Gesamtkonzept zu unterstellen.

Sie werden fragen: Was hat all dies mit dem Oberrhein zu tun?! Nur wenig im
enger biographischen Sinn. Mittelbar sehr viel: Als Mann der Wirtschaft auf
privaten Besitzungen und in öffentlichen Ämtern im oberrheinischen Raum sammelte
Grimmelshausen jene Erfahrungen und erfuhr er wohl auch jene Widersprüche
zwischen der Erwerbsethik des Bürgertums (und des niederen Adels
- können wir hinzufügen)95 und einer Deutung der irdischen Welt als Jammertal
, als Bereich totaler Hinfälligkeit innerhalb der Heilsordnung, - jene Spannung
also, der der tätige, sich bewährende und auch erfolgreiche christliche Bürger der
Zeit ausgesetzt war und die Grimmelshausen im „Simplicissimus" exemplarisch
(nicht biographisch) vergegenwärtigt. Grimmelshausen und der Oberrhein kann
m. E. nur heißen: Grimmelshausen und die aktive, wirtschaftlich erfolgreiche,
sich bewährende bürgerliche Welt am Oberrhein, in der ein gebildeter, sich fortbildender
, offensichtlich kluger, gewandter, umsichtiger und im Rahmen des Bürgertums
aufstrebender Mann jene Erfahrungen machen und jene Einsichten gewinnen
konnte, die ihn dazu drängten, den elementaren Widerspruch von Leistungsethik
und Vanitasglauben aufzugreifen und satirisch überspitzt darzustellen;
und dies zur Unterhaltung, vor allem aber zur Rechtfertigung, zur Belehrung und
zur Warnung.

95 Die Frage des Adelsprädikats Grimmelshausens und seines sozialen Ranges sind nicht eindeutig geklärt.
Nach Könnecke (Bd. 1, S. 108—109) sei die Familie von alters her adlig. Der Großvater habe jedoch als
„radikaler" Bürger den Titel abgelegt. Nach seinem Tod hätten die Grimmelshausen das ,von' in ihren
Namen wieder eingefügt. — Aber auch Manfred Koschlig ist weitgehend auf Vermutungen angewiesen:
Der Mythos vom ,Bauernpoeten' Grimmelshausen. — In: Jahrbuch der Schillergesellschaft 9 (1965),
S. 33—105, bes. S. 36—37, 39, 53; und: „Edler Herr von Grimmelshausen". — In: Jahrbuch der
deutschen Schillergesellschaft 4 (1960), S. 198—224, bes. S. 207, 214—215, 221—222. — Sicher trifft Kochs-
ligs Feststellung: „Grimmelshausen gehört weder seiner Person noch seinem Denken und Dichten nach
der Adelswelt an" („Edler Herr , . .", S. 221), zu, gleichgültig wie man das ,von' in seinem Namen und
die Symbole seines Wappens deutet. Offenbar stand Grimmelshausen in jenem Kreis von Bürgern und
niederem Adel, der sich im 17. Jh. an der Gedankenwelt des Bürgertums orientierte und bürgerliche
Interessen verfolgte. Ganz sicher geht man aber fehl, wenn man ihn in einer „bäuerisch-plebeischen" Welt
lokalisiert. Weder als ,Oeconomus' noch als Dichter gehört er ihr an. Wer im Sinne des 17. Jh. haushält
(Oeconomus), hat teil an jener planenden, ertragsbewußten und gewinnorientierten Tätigkeit, die immer
entschiedener die Domäne des Bürgertums wurde, sich aber nichtsdestoweniger als Erfüllung der Heilsordnung
verstand. Dies ist die Welt, in der die Satire des „Simplicissimus" und vieler anderer Schriften
des Dichters konvergiert.

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