Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 519,m
Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
55. Jahresband.1975
Seite: 224
(PDF, 62 MB)
Bibliographische Information
Startseite des Bandes
Zugehörige Bände
Regionalia

  (z. B.: IV, 145, xii)



Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0
Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1975/0230
Das ist in der Tat kein freundliches Gedenkblatt für eine Fürstin, deren
Geburtstag — sie lebte von 1675 bis 1733 — eben jetzt zum 300. Mal sich
jährt. Es ist ungeheuer viel historische Unwahrheit darin, über die zu
richten hier aber nicht der rechte Ort wäre; Spinnstubengeschichten des
Volkes, Phantasie und Arroganz des Yankees, auch dessen selbstbewußte
Kritik am europäischen Feudalismus sind allzu üppig ins Kraut geschossen
. Dennoch: Mark Twains Blick von weither, aus örtlichem und zeitlichem
Abstand, distanziert und somit verfremdend, sein Befremden angesichts
jener seltsamen Tischgesellschaft erfaßt, im Kontrast, unvermittelt
die Physiognomie des Barock und zumal der barocken Religiosität.
Was dabei mit außerordentlicher Schärfe sichtbar wird, ist das Theatralische
und das Antithetische dieses Stils. (Wobei freilich beide Wesenszüge
im Grunde eine Einheit bilden; denn das Theatralische, genauer als das
Dramatische verstanden, schließt das Moment des Konflikthaften, Gegensätzlichen
, Polaren, kurz: des Antithetischen ja durchaus ein.)

Kaum eine Zeit hat den alten Topos, daß die Welt eine Bühne sei und das
Leben ein Schauspiel2, so sehr für sich in Anspruch genommen wie das
Barock. Seine ganze Architektur ist eine einzige Inszenierung, all die
Treppen, Säle, Zimmerfluchten sind als Kulisse glanzvoller Auftritte
gedacht, begleitet von einer opernhaften Musik; und denen, die dabei
agieren, leiht ein Kostümfundus die wallenden Gewänder und Perücken.
Illusionismus heißt die Devise, schöner Schein, Rhetorik und Fassade;
Material wie Konstruktion, Licht wie Schatten werden mit dem Geschick
von Theaterdekorateuren vorgetäuscht. (Sogar die Baumrinde an den
Wänden der Einsiedelei erweist sich teilweise als gemaltes Imitat.) Nichts
steht über der Bühne, nichts bindet mehr Aufwand an Zeit und Geld.
Inszeniert wird selbst die Natur, deren Elemente sich zu dramatischen
Ensembles fügen müssen; wirkungsvoll arrangierte Wasserkünste und
Feuerwerke vervollständigen die Regie des Maskenzugs, als welcher das
Barock repräsentativ sich darstellt. (Und demgemäß zeigt ein Raum des
Schlosses jene Sibylla Augusta, die bei Lebzeiten an karnevalistischen
Festen nicht sich überbieten ließ, in 72 Miniaturen und ebenso vielen
verschiedenen Verkleidungen.) Das Barock ist „ein vollkommener Theaterstil
" 3.

2 Vgl. Ernst Robert Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter. Bern 1948, S. 146—152
(„Schauspielmetaphern").

3 Egon Friedeil, Kulturgeschichte der Neuzeit. Die Krisis der europäischen Seele von der Schwarzen Pest
bis zum Ersten Weltkrieg. München 1969, S. 466; vgl. insgesamt S. 466 f. („Das Welttheater") und S.
581 f. („Theatrokratie"). — Vgl. auch: Hans Weigert, Geschichte der europäischen Kunst. Textband.
3. Aufl. Stuttgart 1951, S. 401 f. — Am umfassendsten ist das Thema behandelt bei: Wilfried Barner,
Barockrhetorik. Untersuchungen zu ihren geschichtlichen Grundlagen. Tübingen 1970, S. 86—131 („Exkurs
: ,Theatrum mundi*. Der Mensch als Schauspieler").

224


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1975/0230