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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
57. Jahresband.1977
Seite: 60
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senschaftlichkeit andererseits einen Überblick über die bekannten Grundtatsachen
und das neue Bild der Forschung von Grimmelshausen zu geben. Wir
wollen uns bemühen, nach dem berühmten Wort Rankes, herauszufinden,
.....wie es denn eigentlich gewesen".

Viele Teilnehmer an den Feiern des Jahres 1976 haben mir gestanden, sie hätten
den „Simplicissimus" entweder gar nicht oder doch wohl nicht richtig gelesen
. Und die meisten übrigen müßten dergleichen vielleicht ehrlicherweise
auch zugeben.

Auch die Wissenschaft hat erst ganz allmählich genauer erfaßt, was der Simplicissimus
eigentlich ist. Wir alle sehen immer nur Teile vom Wesen großer
Dichtung.

Als vor genau 100 Jahren und wieder vor 97 Jahren der Literarhistoriker
Erich. Schmidt — damals Professor in Straßburg und später in Berlin — in
dieser Stadt zum Gedächtnis Grimmelshausens sprach, da sagte er viel Richtiges
. Er erwähnte die Nöte und Drangsale des Dreißigjährigen Krieges und
charakterisierte seinen Dichter als deutsch, treu, einen aufrechten, naturhaften
Erzähler von echtem Schrot und Korn. Aber Schmidt sprach auch von dem
„langen phantastischen Schwanz von Reise- und Spukgeschichten", „dem wir"
(1879), „heute keinen Geschmack mehr abgewinnen; auch der Fahrt ins Erdinnere
nicht, mag sie gleich von dem uns lieben nachbarlichen Mummelsee aus
erfolgen".3 — Der Leser unseres Jahrhunderts jedoch, dem immer wieder
mögliche Formen der Barbarei und des Terrorismus vor Augen stehen, wird
gerade in der genialen Utopie einer schuldlosen Gesellschaft, wie sie den Kern
der Grimmelshausenschen Mummelsee-Geschichte bildet, eines der relevantesten
Kapitel der gesamten Literaturgeschichte erblicken.

Als vor ungefähr fünfzig Jahren nun Jan Hendrik Schölte an dieser Stelle die
Festrede hielt, sagte er gleichfalls sehr Bemerkenswertes. Man war inzwischen
weiter gekommen. Durch Entdeckungen, zunächst in der Familie der Freiherren
von Schauenburg, hatte man herausgefunden, daß Grimmelshausen als
Wirt und Verwalter lebte und hier in der Ortenau tätig war. Schölte war einer
der großen Forscher unseres Jahrhunderts, ein Mann, den man um seinen
deutschen Stil beneiden muß und der in glänzender Weise die alte Tradition
niederländischer Philologie weiterführte. Er hat sich größte Verdienste um die
Herausarbeitung und Präsentation der Texte und biographischen Daten erworben
.

Aber Schölte versteifte sich auf die Vorstellung vom sozial und intellektuell
isolierten „Dorfpoeten" oder gar vom „Schwarzwälder Bauernphilosophen" und
„geldbedürftigen Familienvater Grimmelshausen". Seitdem hat sich das Bild
vom einsam fabulierenden Mann im Schwarzwald, der nur mit geringen Hilfsmitteln
gearbeitet habe, merkwürdig zäh gehalten.

Natürlich irren auch wir heute. Aber wie können wir uns wenigstens teilweise
gegen die Gefahr schützen, auch unsererseits wieder nur subjektiv gefärbte
Deutungen von Grimmelshausen und seinem Werk zu geben? Bitte folgen Sie
mir geduldig!

Wir konfrontieren zunächst Wirklichkeit und Dichtung. Betrachten wir das
Leben: Ein Mann namens „Hans Christoph" oder „Johann Christoffel" oder so

3 Literarisdie Beilage der Karlsruher Zeitung Nr. 22. Karlsruhe, 31. August 1879. — Reproduziert in:
„Um Renchen und Grimmelshausen". Grimmelshausen-Archiv, Renchen/Baden 1976, S. 137 ff.

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