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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
57. Jahresband.1977
Seite: 143
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1977/0145
Wie also paßt dies an diesen Ort? Die Antwort darauf kann allein dem theolo-
gisch-typologischen Denken jener Zeit abgefragt werden (was durchaus nicht
nur daraus folgt, daß der große Bernward von Hildesheim, der der Schöpfer
des Mosaiks von Schuttern gewesen sein mag, in seiner größten Schöpfung, der
Tür von Hildesheim, jenes Denken ganz anschaulich gemacht hat). Typologi-
sches Denken und Deuten heißt, die Ereignisse des Alten und die des Neuen
Testamentes so aufeinander zu beziehen, daß jeweils die einen als Präfiguratio-
nen, als Urbilder und Vorbilder, Versprechungen und Verheißungen der anderen
— und die anderen somit als Erfüllungen der einen — erscheinen. 2 In genau
dieser Weise sind die linken und die rechten Bildfelder der Bernwardstür
paarweise einander zugeordnet; und dort antwortet etwa die Geburt Jesu dem
Opfer der Brüder; und dem Mord am Bruder antwortet Maria Verkündigung.
Das eine Bildpaar zeigt also: die Menschen bringen Gott, und Gott bringt den
Menschen das größte Opfer dar; das andere: das Leben des Gerechten hört auf,
oder fängt an. (Abel also als Prafiguration Christi verstanden: darüber wird
gleich noch mehr zu sagen sein.) 3

2 Vgl. Leonhard Goppelt, Typos. Die typologische Deutung des Alten Testaments im Neuen. Nachdr.
Darmstadt 1973. — Dieses zentrale, aus der jüdischen in die christliche Exegese gelangte Prinzip hat
die Theologie, damit auch die Künste und Literaturen des ganzen Mittelalters in einer Weise bestimmt
, die umfassend erst noch darzustellen wäre: und zwar als wiederum nur einer der vier
möglichen Wege Zum Sinn der heiligen Schriften. — Vgl. z. B. auch: Friedrich Ohly, Vom geistigen
Sinn des Wortes im Mittelalter. Nachdr. Darmstadt 1966; Erich Auerbach, Figura. In: E. A., Gesammelte
Aufsätze zur romanischen Philologie. Bern und München 1967, S. 55—92; ders., Typological
Symbolism in Medicval Literature. In: ebda. S. 109—114.

3 Von den vielen Untersuchungen, die diesem Kunstgegenstand gewidmet sind, sei hier nur eine (und
eine der schönsten) genannt: Wolfram von den Steinen, Homo Caclcstis. Das Wort der Kunst im
Mittelalter. Textband. Bern und München 1965, S. 39—54. Wie dort auch (S. 50 f.) dargelegt wird,
gibt es einen Gedanken, der zwar nicht das eine, aber doch das andere Bildpaar noch enger verknüpft:
„Adam nämlich wurde aus reiner Erde geformt, das ist klar; und überhaupt, die Erde war so, wie
Gott sie erschaffen hatte, ohne Makel, und sie blieb es, solange der Fall des Menschen sie nicht mitriß.
Das aber geschah, als Abels Blut die Erde befleckte: da verlor die bisher reine Allmutter ihre Jungfräulichkeit
. Wolfram von Eschenbadi erzählt im Parzival die alte Kunde (IX 941 ff.): ,Die Erde war
Adams Mutter, von Erdenfrucht lebte Adam gesund. Noch war die Erde eine Jungfrau, und noch habe
ich euch nicht gesagt, wer ihr Magdtum wegnahm. Adam war Kains Vater; der erschlug Abel um
nichtigen Gutes willen, und als auf die reine Erde das Blut fiel, ging ihr Magdtum dahin: Adams
Sohn nahm es ihr.' — Damit gewinnt das Bild zur Linken seine Tiefe. Maria nun aber erschien als
Sinnbild der reinen Erde, und wie der erste Adam wurde auch der zweite aus einer Jungfrau-Mutter
erschaffen. Man konnte dafür einen Psalmvcrs anführen (S4, 12): ,Veritas de terra orta est' — die
Wahrheit ist von der Erde entsprungen. ,Die Wahrheit' hatte Christus sich selber genannt: so wäre
denn Terra seine Mutter. Entsprediend setzt Wolfram an jener Stelle fort: ,Von Jungfrauen sind zwei
Menschen gekommen: nach dem Sproß der ersten Jungfrau (= Adam) hat Gott selbst Antlitz angenommen
(= Jesus).' — Der Dichter von 1200 würde für das Bildwerk von 1000 wenig bedeuten, wenn
nicht beide aus dem gleichen Lebensquell der alt christlichen Überlieferung schöpften. So aber erklärt
Wolfram gradezu, ohne es zu ahnen, das unterste Doppelbild der Bernwardstür: als Gabriel bei Marien
eintrat und Maria ihr göttliches ,Eccc ancilla domini* sprach, da war die Jungfräulichkeit der seit
Kain unendlich besudelten Terra wieder da." (Vgl. dazu: Erich Auerbach, Figurative Texts ülustrating
certain Passages of Dante's ,Commedia'; a.a.O. S. 93—108; bes. S. 103 f.: ,Terra et Maria*.) Darin
wird, was hier nur am Rande angemerkt werden kann, zugleich die typologisch überaus wichtige
Verknüpfung von Adam mit Christus angesprochen. — Übrigens ist schon im frühen Mittelalter, vom
spaten ganz zu schweigen, der Stoff im hier dargelegten Sinn auch literarisch verarbeitet worden: vgl.
Jacob Rothschild, Kain und Abel in der deutschen Literatur. Diss. phil. Frankfurt/M. 1933; Auguste
Brieger, Kain und Abel in der deutschen Dichtung (= Stoff- und Motivgeschichte der deutschen Literatur
14). Berlin und Leipzig 1934. — Adam und Abel sind aber nur zwei von vielen figurae Christi,
wie noch vor jeder Exegese schon aus der Bibel selber hervorgeht: „Denn wie Jona drei Tage und drei
Nächte im Bauch des Seeungeheuers war, so wird der Menschensohn drei Tage und drei Nächte im
Herzen der Erde sein" (Mt. 12, 40).

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