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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
57. Jahresband.1977
Seite: 264
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1977/0266
Derart bringt die Markgräfin einen asiatischen Zug ins barocke Bild; einen
anderen aber ihr Gemahl, der Türkenlouis — wie er genannt wurde, nachdem
er im August 1691 bei Szlankamen die türkische Gefahr von Europa abgewendet
hatte. Es war nur einer von seinen Siegen, aber deren Krönung. 8 „Diß ist
der tapfre Held, der Leib und Leben waget, / Der mit Großmüthigkeit die
Türcken-Hund verjaget, / Wie Nissa diß bezeugt, nebst andren Thaten mehr, /
Drum bebt gantz Orient vor Ihm und seinem Heer." 9 Orientalisches wiederum,
das dann in Gestalt der markgräflichen Türkenbeute nach Europa fand; Sibylla
Augusta hat in Favorite ein »Chinesisches Zimmer', Ludwig Wilhelm aber hat
in Rastatt eine ,Türkische Kammer' eingerichtet. Doch auch von dem, was diese
zeigte, war das wenigste erbeutet, das meiste aber erworben worden: Ostasia-
tica jeglicher, eben nicht nur türkischer Provenienz.10 Und so zeugt sie nicht
nur vom Individuellen des Markgrafen, sondern auch vom Kollektiven seiner
Zeit, des Barock, von dessen allgemeiner Hinwendung zum Exotisch-Orientalischen
: von der (wie immer sie heißen mag) Chinoiserie, Japonaiserie, Turco-
manie.11 Deutlicher als alle ihre Zeitgenossen legen der Markgraf und die
Markgräfin von Baden davon Zeugnis ab; es ist keineswegs zufällig, sondern
sehr sinnvoll, wenn (auf einem Gemälde im Spiegelkabinett von Favorite)
beide in türkischer Tracht posieren.12

Die Faszination durchs Exotische geht quer durch die ganze Barockkultur: ob
nun die Literatur ihre Stoffe im orientalischen Milieu ansiedelt; oder die Musik
mit Becken, Triangel und Schellenbaum der türkischen oder sogenannten Ja-
nitscharen-Musik sich anzuähneln sucht; oder ob (um hier nicht nochmals vom
Kunsthandwerk zu reden) schließlich die Architektur alle möglichen Gebäude
mit geschweiften Dächern deckt.13 Ja sogar die nun überall erscheinenden ba-

8 Vgl. insgesamt das oben — in Anm. 2 — erwähnte Buch ,Der Türkenlouis' (mit Literaturverzeichnis
S. 142).

9 Nach einem zeitgenössischen Stich, reproduziert in: Badische Heimat 24 (1937), S. 344. Gerühmt wird
hier „Der Durchleuchtigste Fürst und Herr, Herr Ludwig Wilhelm, Marggraf zu Baaden und Hochberg
, Landgraf zu Sausenberg, Graf zu Sponheim und Eberstein, Herr zu Rötelen, Badenweyler, Lahr
und Mahlberg, Dero Rom. Kays. Maj. General-Feld-Marschall über die Cavallerie, und Obrister über
ein Regiment zu Fuß" — liest man diese oder eine andere barocke Titulatur, so ist es fast, als ob
man durch eine barocke Zimmerflucht ginge.

10 Vgl. Ernst Petrasch, Die ehemalige ,Türckische Kammer' im Schloß Rastatt. In: Der Türkenlouis
S. 56—70 (mit Näherem über die barocke Orientmode S. 58 f.).

11 Vgl. Richard Graul, Ostasiatische Kunst und ihr Einfluß auf Europa (= Aus Natur und Geisteswelt
87). Leipzig 1906, bes. S. 4—33; Chisaburo Yamada, Die Chinamode des Spätbarock. Berlin 1935;
Ernst Gall/L. H. Heydenreich (Hrsg.), Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte Bd. 3. Stuttgart 1954,
Sp. 439—481.

12 Vgl. Renner, Bilder und Erinnerungen S. 137; auf das darin zugleich beschlossene theatralische Moment
sei hier schon vorbereitend hingewiesen.

13 Vgl. Heinrich Niester, Bauten der China-Mode des 18. Jahrhunderts in Bruchsal, Karlsruhe und
Schwetzingen. In: Badische Heimat 35 (1955), S. 136—149; zwar nicht der Form, aber doch des
Namens wegen ist diesen Beispielen noch die von der Markgräfin nach Nymphenburger Vorbild in
Rastatt errichtete ,Pagodenburg* zuzurechnen. — Keine noch so summarische Erwähnung des Kunsthandwerks
darf das an allen Höfen überaus beliebte Porzellan übergehen: denn Material wie Dekor
sind chinesischen Ursprungs; in Durlach (dem Sitz des anderen markgräflichen Familienzweiges) wurde
es sogar hergestellt, in Rastatt wenigstens gesammelt; siehe die zahllosen Stücke in Favorite und das
,Porzellankabinett' in Rastatt selber (vgl. Gerda Franziska Kircher, Die Prunkeinrichtung im Piano
Nobile des Rastatter Schlosses. Zusammengestellt nach dem Schloßinventar von 1772. In: Der Türkenlouis
S. 71—83; hier bes. S. 80). — Es sei hier lediglich noch angemerkt, daß in der Dekoration von
Favorite neben den chinesischen Vasen usw. auch die holländischen Kacheln einen bedeutenden Raum
einnehmen: auch Holland gehört mit gutem Grund zur Geographie des Barock (vgl. Leo Balet/
E. Gerhard, Die Verbürgerlichung der deutschen Kunst, Literatur und Musik im 18. Jahrhundert.
Hrsg. und eingeleitet von Gert Mattenklott. Frankfurt/M. — Berlin — Wien 1973, S. 426—429).

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