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aufzugehen. Da der Rosselenker von „Lohr" war, wo Biederkeit wohnt, und
Geßler hieß, wie der kritische Dichter am „Altvater", so glaubte ich ihm auf's
Wort, entließ ihn und schritt das enge, sonnige Thälchen hinein.
Nur drei Bauernhöfe haben sich in diesen einsamen, tief eingeschnittenen
Bergriß eingenistet. Beim zweiten wusch eine Bäuerin eben Kartoffeln im
Brunnentrog. Sie fragte ich, an einer Wegscheide stehend, nach dem rechten
Pfad auf den Gaisberg. Sie selber, obwohl kaum eine starke Stunde davon
weg, konnte mir keine Auskunft geben. Die Frau weiß nur den Kirchweg nach
Schweighausen und Welschensteinach und den Marktweg nach „Lohr".
Aber, meinte sie: „Mi Bruoder, der Engel, kann Euch Uskunft gä, der wohnt
im obersten Hof."
Eine halbe Stunde bergauf und ich hatte den Hof erreicht. Aus der Scheuer
trat ein älterer Bauersmann, einen Sester Mehl in den Händen. Obwohl er
nichts weniger als einem Engel gleich sah, dachte ich mir doch sofort: „Das ist
der Engel im Durebach!" Und als ich ihn so anredete, stellte er sein Mehl auf
die Erde und freute sich königlich, daß ich seinen Namen schon wisse. Aber er
wurde alsbald neugierig und wollte auch den meinen kennen.
„Herr, sprach er, wer sinn Ihr, und wo kommet Ihr her in unser Thal?" — Ich
sah keinen Grund mich zu verleugnen und nannte ihm meinen Stand und meinen
classischen Geschlechtsnamen. Da griff der Engel mit der einen Hand
nach dem Hut und mit der andern meine Hand und redete also: „Was, Ihr
seid der Hansjakob? Euch wär' ich schon stundenweit nachg'laufen, um Euch
a mol zu sehe, un jetz hab' i's Glück, daß Ihr uf mi Hof lauft!"
Ich fragte ihn, warum er sich denn so freue, und bekam eine Antwort, die
mich hoch erfreute. „Ich bin schon a mol igsperrt gsi und Ihr au. Demo hab'
ich Euer Gefängnißbuoch glese und sither denkt, wenn i nu au a mol den
Hansjakob könnt sehne".
„Un jetzt laufe Ihr mir uf de Hof", war sein wiederholter Freuden-Refrain.
Ich aber dachte, wenn die badische Justiz selbst den „Engel im Durebach"
nicht verschont hat, so kann ich's ihr nicht verübeln, wenn sie mich schwarzen
Unhold zweimal gefangen setzte.
Der Engel aber rief jetzt laut nach Weib und Kind, nach Jung und Alt, damit
sie „den Hansjakob b'schaue". Und sie kamen, des Engels Weib und Kinder,
zahlreich wie der Sand am Meere; denn der Engel im Durebach hat zwölf
lebendige Kinder.
Aber auch sein Mitengel kam mit Gefolge vom Felde heim — es nahte der Mittag
— und allen ward ich vorgestellt. Kirschenwasser wurde geholt und cre-
denzt im Kreise, der sich um den eingesperrten Pfarrer gebildet — alles vor
dem Hause, unter blauen Maienhimmel und neben blühenden Bäumen.
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