Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 519,m
Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
67. Jahresband.1987
Seite: 494
(PDF, 91 MB)
Bibliographische Information
Startseite des Bandes
Zugehörige Bände
Regionalia

  (z. B.: IV, 145, xii)



Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0
Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1987/0494
entgegenlaufen kann. So zeigt Pillin, wie die
wirtschaftlich-soziale Grundstruktur des wohlhabenden
Landstädtchens 1919 die politische
Richtung als republikanisch — bürgerlich —
konservativ bestimmt und sie bis in die Gegenwart
durchhält, auch nachdem die durch die
Weltwirtschaftskrise schwer gebeutelte Kleinindustrie
von der nationalsozialistischen
Reichsregierung beachtliche Staatsaufträge
erhalten hat.

Da Pillin mit seiner Arbeit völliges Neuland
betrat, mußte er sich zuerst die notwendigen
Quellen beschaffen. Ein Blick auf die Anmerkungen
zeigt, daß dies ein mühseliges, aber erfolgreiches
Unterfangen war. Nur teilweise zufrieden
gestellt durch das übliche offen bereitliegende
schriftliche Material, regte der Autor
viele Zeitzeugen an, ihre Erinnerungen zu formulieren
oder alte private Aufzeichnungen zur
Verfügung zu stellen. Die Subjektivität dieser
persönlichen Äußerungen wird in ihrer Wirkung
auf den Leser eingegrenzt, indem weltanschauliche
und politische Positionen der Informanten
genannt werden. Mit der auf diese
Weise gewonnenen Grundlage beschreibt Pillin
die Geschichte bis in die frühen fünfziger Jahre
und kann darstellen, unter welchen Anstrengungen
die Gemeinde versuchte, mit den Problemen
, die ihr nach dem Ersten Weltkrieg von
außen aufgebürdet wurden, fertig zu werden.
Das bedeutete, der Lebensmittelknappheit zu
steuern — selbst in Oberkirch gab es eine
Hungerdemonstration —, die neuen demokratischen
Spielregeln zu lernen, den vielen Arbeitslosen
durch Notstandsprogramme Lohn
zu verschaffen.

Als recht vielschichtig erweist sich die Haltung
der Stadtgesellschaft zum Nationalsozialismus
. Zwar werden die von der Regierung verordneten
Gewaltmaßnahmen durchgeführt,
aber die Parteioberen müssen sich auch mit
den Vertretern der gewachsenen sozialen
Struktur arrangieren: dem Pfarrer, dem bei
der Belegschaft beliebten Unternehmer, den
Katholiken, den bäuerlichen Sippen. Daneben
gelingt es den neuen Machthabern, mit Hilfe
der Vereine hochwertige sportliche und kulturelle
Veranstaltungen zu organisieren und damit
Sympathien zu gewinnen.

Den Höhepunkt der Kriegsschilderung bildet
der Endkampf um die Stadt, der man ihrer

strategischen Lage am Eingang des Renchtals
wegen eine sicher überschätzte militärische Bedeutung
zusprach. Hier werden die Hilflosigkeit
der Kommandeure, zwischen Befehl und
Einsicht zu entscheiden, und die Verbohrtheit
der Parteigrößen zu symptomatischen Beispielen
für die Lage im Reich. Die frühe Nachkriegszeit
wird bestimmt vom Kampf der Stadtgemeinde
gegen Hunger, Wohnungsnot, Flüchtlingselend
und eine feindselige Besatzungsmacht
. Die Phase des Wiederaufbaus, politisch
geführt von der Zusammenarbeit des
CDU-Bürgermeisters Braun und seines der
Freien Wählervereinigung angehörenden Stellvertreters
Dr. Bock, läßt im Zeichen des Wirtschaftswunders
die alteingesessenen Betriebe
zu international geachteten Exportfirmen mit
ständig steigender Produktivität anwachsen.
Neue Stadtteile werden angelegt, die Infrastruktur
auf das Niveau eines Zentralortes angehoben
. Folgerichtig gliedert die Kommunalreform
der siebziger Jahre Oberkirch neun
Umlandgemeinden ein. Dankenswerterweise
berichtet Pillin auch über die Geschichte dieser
Dörfer und füllt Lücken in einem bisher weitgehend
vernachlässigten Bereich der Lokalhistorie
. Die 650-Jahrfeier der Stadt ist ein Fest
des neuartigen, nun auf 16500 Einwohner angewachsenen
Gemeinwesens und bildet den natürlichen
Abschluß in Pillins Konzeption.

Der Band ist reich illustriert. Die technisch
sehr gut reproduzierten Fotographien, Zeitungsartikel
, Vereinsprogramme u.a., die im
wesentlichen aus der Sammlung Dr. Bocks
stammen, geben neben dem vorzüglichen Text
einen zweiten Anreiz, das Buch zur Hand zu
nehmen, bieten sie doch dem Kundigen wie
dem Unkundigen ein weites Feld zur eigenen
Spurensuche.

Der Anhang enthält neben einem umfangreichen
Register eine Zusammenstellung der
wichtigsten Persönlichkeiten Oberkirchs und
eine Bestandsaufnahme der Ereignisse zwischen
1976—1986.

Die Stadt Oberkirch als Herausgeber kann
man- zur — nach den ersten beiden Bänden erwarteten
— hohen wissenschaftlichen Qualität
und zur noblen Ausstattung des Werkes beglückwünschen
.

Karl Maier

494


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1987/0494