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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
70. Jahresband.1990
Seite: 481
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Bei der Beschäftigung mit dem Thema trat bald deutlich zutage, daß die Ereignisse
1940 und in den folgenden Jahren nicht isoliert betrachtet werden
dürfen. Die Tötung kranker und behinderter Menschen brach nicht aus heiterem
Himmel über Deutschland herein. Sie hatte eine Vorgeschichte und
— wie wir erkennen mußten — eine Nachgeschichte, die sich im Gewand
des medizinischen Fortschrittes und in gesellschaftlichen Grundhaltungen
gegenüber behinderten Menschen heute abzeichnet. Wir sahen, daß die Verfechter
des Rassegedankens und der Eugenik zu Beginn dieses Jahrhunderts
zunächst im wissenschaftlichen Rahmen ihre Positionen vortrugen. Allmählich
fanden diese Annahme in der Gesellschaft und in der Politik. Aus den
wissenschaftlichen Überlegungen entwickelten sich unter dem Gesichtspunkt
der Machbarkeit und des Möglichen Umwertungen in der Bevölkerung
und Einstellungsänderungen. In der Alltagssprache gibt es von nun an
„Minderwertige" und „Höherwertige", und es gibt die Tendenz in der Gesellschaft
, das als minderwertig ausgemachte Leben „auszumerzen". Alles
sollte dem großen Ziel dienen, ein rassereines Volk zu entwickeln.

Durch die Zulassung der Sterilisierung wurde ein erster Schritt in dieser
Richtung getan. Bis 1930 noch deutlich als freiwilliger Schritt und mit individueller
Entscheidungsmöglichkeit für den Betroffenen. Nach der Machtergreifung
wurde in Deutschland auf der Grundlage des „Gesetzes zur
Verhütung erbkranken Nachwuchses" zwangssterilisiert. Die Sterilisierung
wurde — auch wenn der Zwangscharakter gegeben war — an Reichsbürgern
in einem scheinbar legalen Verfahren durchgeführt. Mit der intensiven Propagierung
des Rassegedankens, vor allem gegen Juden, und durch den stärker
werdenden Einfluß der Partei auf den Staat wird auch in diesem Teil
individuelles Recht den angeblichen Interessen des Volkes untergeordnet.
Der behinderte Mensch wird zur „Ballastexistenz". Er wird unter den Kosten
, die er für die Gesellschaft verursacht, bewertet. Und er wird ab 1940
als „lebensunwert" vernichtet.

War bei der Sterilisierung noch eine Rechtsgrundlage vorhanden, so reichte
im entwickelten totalitären Staat des Jahres 1939 ein formloses Ermächtigungsschreiben
Hitlers, um eine Tötungsmaschinerie in Gang zu setzen. Es
wird deutlich: Das gesetzte Ziel des rassenhygienisch sauberen Volkes wird
Anfang des Jahrhunderts entwickelt und Schritt um Schritt umgesetzt, wenn
es die politische Situation zuläßt. Die Machtergreifung ermöglicht die Einführung
der zwangsweisen Sterilisierung. Unter den Rahmenbedingungen
des Kriegsbeginns und des absoluten Einflusses der Partei wird ohne
Rechtsgrundlage behindertes Leben zigtausendfach getötet. Und die Vernichtung
von Menschen zur Erzielung einer reinen arischen Rasse setzt mit
der „Endlösung der Judenfrage" ein, als Amerika in den Krieg eingetreten
war. Die Juden waren nun nicht mehr als Faustpfand einzusetzen.

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