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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
70. Jahresband.1990
Seite: 482
(PDF, 137 MB)
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Es bleibt als Aufgabe stehen, sich gedanklich in die Wertvorstellungen der
damals verantwortlichen Mediziner, Juristen, Philosophen und Theologen
einzufühlen, um deren Handeln nachvollziehen zu können. Welche Werte
bestimmten diese Menschen und die gesamte Gesellschaft in ihrer Einstellung
gegenüber behinderten Menschen? An welchen Werten gemessen war
das Leben anderer „höherwertig", „minderwertig" oder als „lebensunwert
" auszumerzen?

Es bestätigte sich bei der Arbeit an dem Thema, was bereits in anderem Zusammenhang
erarbeitet wurde. Die evangelische Kirche — speziell die
Innere Mission - hat sich bei der Entwicklung rassenhygienischer Überlegungen
und deren Vollzug in Form der Sterilisierung stärker auf die Seite
der politisch Verantwortlichen gestellt als die katholische Kirche. Die Zustimmung
zu nationalsozialistischen Positionen ist wohl nur zu verstehen,
wenn es gelingt nachzuvollziehen, welchen Bedeutungsgehalt „positives
Christentum" und der NS-Spruch „Gemeinnutz geht vor Eigennutz" für
Christen — insbesondere für evangelische - in der damaligen Zeit hatten.
Welche biblisch-christlichen Wertvorstellungen konnten mit diesen Positionen
verknüpft werden? Welche Werte konnten zu christlich motiviertem
Protest führen?

Fest steht, daß kirchlicher Widerstand einsetzte, als einzelne Persönlichkeiten
in Rückbesinnung auf andere Werte Position gegen den tausendfachen
Mord bezogen. Fest steht auch, daß diese Gegenposition ausreichte, die
Verantwortlichen der „Aktion T4" zu verunsichern.

Doch die Frage „Wo bringt ihr uns hin?" ist auch eine Frage, die wir heute
stellen müssen — an verantwortliche Mediziner, Politiker, Juristen, Theologen
. Wohin werden die erwähnten medizinischen Forschungen führen?
Wird sich die Eugenik, durch gentechnologische „Fortschritte" eingeführt,
überhaupt begrenzen lassen? Wie weit wird die vorgeburtliche Untersuchung
und die Abtreibung bei eugenischer Indikation getrieben werden?

Uber allem steht auch heute die Frage: Von welchen Werten lassen wir uns,
läßt sich unsere Gesellschaft im Verhältnis zu kranken und behinderten
Menschen leiten?

Anmerkungen

1 Der folgende Aufsatz entstand im Zuge einer Ausstellung zur „Euthanasie-Aktion"
1940/41. Bei dieser Aktion wurden 113 Menschen aus der Anstalt Kork in Grafeneck
ermordet. Eine kürzere Fassung des Aufsatzes erschien als Begleitbroschüre zur Ausstellung
.

2 Baader, Gerhard; Rassenhygiene und Eugenik. Vorbedingungen für die Vernichtungsstrategien
gegen sogenannte „Minderwertige" im Nationalsozialismus. — In: Bleker,
Johanna; Jachertz, Norbert; Medizin im Dritten Reich, Köln 1988, S. 189.

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