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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
71. Jahresband.1991
Seite: 322
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„Kultur im Dorf" galt als traditionelles Feld der Volkskunde; eines Faches,
das bis in 1960er Jahre unter dem Begriff ,,Volkskultur" wesenhafte Ausdrucksformen
und überzeitliche Werte eines sehr ideologisch und mythologisch
gezeichneten vorindustriellen Volkslebens verstand. Das Volk
erschien als bürgerlich geprägter Kunstgriff wie als ahistorischer Mythos,
der von der Romantik bis in den Nationalsozialismus hinein seinen
wissenschafts- wie gesellschaftspolitischen Zweck erfüllte.9

Heute hat sich diese Situation grundlegend geändert. Der Begriff „Volkskultur
" steht inzwischen für eine umfassende Sicht der Kultur und Lebensweise
nichtprivilegierter Bevölkerungsgruppen. Trotzdem wirken bei der
Beschäftigung mit dem Thema „Volkskultur" allerhand ideologische
Hypotheken der älteren deutschen Volkskulturforschung nach. „Man
beschrieb eine Kultur nicht so wie sie war, sondern so, wie man ihrer bedürftig
war."10

Das Volk, mehr als Naturtatsache, denn als gesellschaftliches Produkt begriffen
, sollte in seinen Sitten und Gebräuchen festen, bürgerlichen
Wunschbildern und obrigkeitlichen Ordnungsvorstellungen entsprechen. In
den Köpfen der Forscher entstand so das Bild einer „verkehrten Welt", in
der sie alles zu lokalisieren glaubten, was ihnen die bürgerliche Lebensweise
vorenthielt: Ursprünglichkeit, Ganzheit, Kontinuität, Authentizität.

,,Die sozialen Spannungen und Restriktionen der industriellen Realität bringen die Idylle der
heilen Welt hervor, einen Traum vom verlorenen Paradies. Aber die Utopie ist beschädigt,
denn das Andere, das nur mehr als das Andere gedacht werden kann, trägt nach deutlich
Spuren jener Wirklichkeit an sich, die es hinter sich zu lassen vorgibt. Wie der Wilde nur
die Fratze der Zivilisation ist, so wird das Volk zum Popanz des Natürlichen, der allein
übrigbleibt, wenn ,der Geist' es für sich entdeckt."11

Wesentliche Elemente einer solchen Stilisierung sehen wir bereits im aufklärerischen
Vblksbegriff des späten 18. Jahrhunderts angelegt: Das Volk als
das „gesellschaftlich Unverfälschte, das Kräftige, das Ursprüngliche", eingebunden
in archaische Erfahrungs- und Gefühlswelten.12

Diesem wurde zwar eine eigene, kulturelle Identität zuerkannt, aber nur als
quasi vorzivilisierter — in positiver oder negativer Abhebung von der bürgerlichen
Kultur verstandener — Zustand.

Mit Friedrich Ludwig Jahn und Ernst Moritz Arndts Auffassung des „deutschen
Volksthums" gewann der Volksbegriff eine andere Bedeutung. Das
Volk wurde nicht mehr nur als rein „kulturell zu hegendes und zu formendes
gesellschaftliches Substrat"13 gesehen, sondern als „kleidsame Fiktion
"14, als „politisch modellierbarer Korpus" einer werdenden Nation
entdeckt. Mit der Umwertung des Begriffs der Volkskultur begann eine
ideologische Kontinuitätslinie, die sich von der Volkskunde eines Wilhelm

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