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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
71. Jahresband.1991
Seite: 339
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Weitere Anlässe zum Feiern boten Geburt, Tod, Heirat und Jubiläen im
Herrscherhaus. In der Zeit zwischen den Kirchenfesten, Familienfeiern und
berufständischen Geselligkeiten trafen sich Dorfbewohner in der Nachbarschaft
zu Gespräch, Scherz und Gesang. Unter einem stattlichen Nußbaum
vor dem Hause von Bellis Pflegeeltern versammelten sich nach dem Gottesdienst
die Nachbarn. Im Winter traf man sich in „Licht- und Kunkelstuben,
in dem sich junges und altes Weiber- und Männervolk zusammenfand.
Wenn auch manches nette und rührende Geschichtchen erzählt wurde, (...)
so überwiegte doch das grauenhaft abergläubische Zeugs."87

Die Männer besuchten sonntags die Dorfwirtschaft und spielten Karten.
Überhaupt war das Wirtshaus der Mittelpunkt aller öffentlichen und Privatlustbarkeiten
, der Schauplatz großer und kleiner Sensationen. Das größte
und wichtigste Wirtshaus lag meist bei der Kirche, damit auch die Fremden
bei kirchlichen Zusammenkünften, Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen
dort einkehren konnten.88

Das Dorfwirtshaus blieb ein Ort der Entspannung und der Unterhaltung,
des Politisierens und Diskutierens. Der Wirt wußte oft mehr über das eigene
Dorf als der Pfarrer. Frauen hatten nur ausnahmsweise Zutritt zu den Wirtshausräumen
.

Eine wichtige gesellschaftliche Funktion, insbesondere für die Jugend,
übernahm der Tanz; hier knüpfte die erwachsene Jugend Kontakte mit dem
anderen Geschlecht. Die Jugend stellte eine „außerordentliche Phase" innerhalb
des ländlichen Lebensraums dar. Zwischen dem Schulabschluß und
der Heirat oder Hofübernahme, zwischen voller Abhängigkeit und voller
Verantwortlichkeit und dem Erlernen und Praktizieren der sozio-kulturellen
Regeln war die Dorfjugend von diesen Regeln freigestellt.

Dienstboten, Bauernsöhne, Burschen- und Mädchenschaften agierten gemeinsam
in diesen Freiräumen:

,,Sie übten eine ritualisierte Exzessivität an Festtagen und in Freinächten, mit Spiel, Tanz,
.Schwärmen', sozial gelockerter Sexualität; sie führten die lokalen Rügebräuche durch; und
sie konstituierten in den Spinnstuben eine wichtige Form ländlicher Geselligkeit, die sich
etwa auch ins Fastnachtsbrauchtum mit seiner Alltagsverkehrung fortsetzte."89

Die Bedeutung der Kirche für die Gruppenbildung der traditionellen ländlichen
Jugend kann kaum hoch genug veranschlagt werden.90 Die Kirche
galt als ein Ort, an dem sich die Gemeindeangehörigen in regelmäßigen Abständen
trafen. Die Zusammenkunft in der Kirche wirkte in den ländlichen
Gemeinden vergesellschaftend, kirchliche Festtage schufen Möglichkeiten
zur Kontaktaufnahme.

Der von "den josephinischen und wessenbergianischen Reformen ausgehende
Veränderungsdruck auf die religiöse Lebenspraxis traf die ländliche
Lebenswelt an einer empfindlichen Stelle.91

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