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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
71. Jahresband.1991
Seite: 515
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gerissenwerden zwischen Deutschland und Frankreich zu erinnern, an dieses
drastisch exponierte Erleben europäischer Zerrissenheit. Das Elsaß war
seit 1871 wieder deutsch, die Situation blieb jedoch geprägt durch die Spannung
zwischen der reichsdeutschen ,,Germanisierungspolitik" und den
französischen „Revanche"-Nostalgien. Schickele lehnte beides ab. Die Lösung
des elsässischen Problems konnte für ihn nur eine europäische sein,
ausgehend von der Überwindung nationaler Grenzen und zuerst einmal von
der Absage an nationalistisches Denken. In diesem Sinn verwandelte er
innerlich das elsässische Grenzlandschicksal in ein ,,geistiges Elsässer-
tum"3, und so kann bei ihm gesprochen werden von einer Geburt der europäischen
Idee aus dem ,,geistigen Elsässertum".

Schon das erste Auftreten des jungen Schickele zu Beginn des Jahrhunderts
— zusammen mit geistesverwandten Jugendfreunden wie Ernst Stadler und
Otto Flake, dem Straßburger „Stürmer"-Kreis — steht in diesem Zeichen.
,,Eines Tages werden auch wir eine Nation sein, diesseits — jenseits des
Rheins", heißt es in seinem ,,Jungelsässischen Programm"4, „Elsässer"
soll „ein psychologischer Begriff für die Wesensart aller geistiger Kinder
werden, die gallisches und deutsches Blut nährt". ,,Rein geistig gedacht",
fügt er hinzu, deutlich den Gegensatz zum Ethnisch-Nationalistischen betonend
. Das Elsaß erscheint als „symbolischer Garten", geprägt durch die
,,Blüte zweier Traditionen".5 Das Elsaß, dürfen wir sagen, als deutschfranzösischer
, europäischer „Garten", und „Elsässer" gleichbedeutend mit
Europäer! So hoch steckte der junge Schickele das Ziel, wobei er wohl
wußte, daß die Machthaber auf deutscher und französischer Seite — und oft
die eigenen Landsleute — weit von dieser Forderung entfernt waren, ihr geradezu
entgegenwirkten. Es ist ja nicht so, daß elsässisches Erleben zwangsläufig
zur europäischen Gesinnung führen mußte: Schickele wird auch
darstellen, wie es aus derselben Situation heraus zum nationalen Superpa-
triotismus kommen mag6, und in der elsässischen Realität ist ja diese
Haltung sogar charakterischer (konnte doch Frederic Hoffet in seiner Psychanalyse
de lÄlsace das Elsaß als ,,terre classique du chauvinisme" bezeichnen
) ... Die frühe Behandlung der elsässischen Thematik im literarischen
Werk führt eher in depressive Aussichtslosigkeit, der erste Roman ist bezeichnenderweise
Der Fremde betitelt, und diese Formel bleibt kennzeichnend
für Schickeies Stellung im eigenen Land. In den Zeitverhältnissen vor
dem l. Weltkrieg machte er sich kaum Illusionen über ein politisches Europa
. Dazu war der Idealist schon immer zugleich ein kritischer Geist, zur
ironischen Entlarvung geneigt, zum Aufspüren des Zerrbilds. So wird Europa
auch zum Titel einer grotesken Komödie7 und erscheint darin als
Ausgeburt des Gehirns eines Journalisten, des Repräsentanten eines „potenzierten
Amerikanismus" und einer „rationalen Regelung der Welt"8:
Dieses unfertig gebliebene Jugendwerk mag immerhin als Satire einer ideologischen
Verzerrung der Europa-Idee gelten.

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