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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
71. Jahresband.1991
Seite: 524
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buch.59 Thomas Mann lobte in seinem Vorwort zur französischen Übersetzung
der Witwe Bosca (1939) Schickeies Sprache als ,,ein Hochzeits-
Carmen zwischen Deutschland und Frankreich".60 „Mais nous n'en som-
mes plus aux epithalames", antwortete nüchtern Pierre Fervacque in der Pariser
Zeitung Le Temps, und in der damaligen Zeitperspektive konnte er in
diesem Nachruf (1.2. 1940) schlußfolgern: ,,Vie douloureuse en somme et
en partie gächee". Unkraut überwuchs ,,das Grab eines einsamen Europäers
".61

Dies war Schickeies letztes Erleben der Geschichte. Was hat er uns heute
in veränderter Situation noch zu sagen? Inwiefern kann die Erinnerung an
ihn dazu beitragen, die europäische Idee gedanklich zu festigen, kritisch zu
überdenken?

Sein Grundbestreben — die deutsch-französische Verbundenheit — ist
Wirklichkeit geworden. In diesem Sinn wurde sein ,,Grenzgebet" erhört,
worin er diesen ,,Sonntag Europas" herbeiwünschte, wie es im Erbe am
Rhein heißt.62 Schickele, der schließlich das Scheitern seines Wirkens erleben
mußte, bleibt für uns bedeutsam als Vorkämpfer, als Zeuge für die
Schwierigkeit des Wegs, und sein tragisches Grenzlandsschicksal mag als
Mahnung dienen, dieses deutsch-französische Fundament nicht wieder in
Gefahr zu bringen. Es gibt im Erbe am Rhein eine wesentliche Stelle über
die „Verwandlung der Angst in tätiges Vertrauen". (Schickele würdigte damals
Briands „Politik des Vertrauens" im Gegensatz zu Poincares „Politik
der Angst"63). So läßt sich auch seine Antwort auf die heutige „Angst
Frankreichs" (nämlich vor dem wiedervereinigten Deutschland) unschwer
erraten; sie lautet: Europa. Bei geringsten Anlässen tauchen ja die alten
Ängste wieder auf, das Mißtrauen oder Mißverständnis, und sind doch die
Medien nur allzu bereit, dies noch zu verbreiten und übertreiben! Immer
noch bedarf es der „Aufklärung", der „Vermittlung" als Mission der „Geistigen
", wie es Schickele formulierte, — erwähnen wir in dieser Hinsicht
auch seine Vorstellung der Straßburger Universität als „geistiges Laboratorium
und Institut für vergleichende Völkerkunde"64...

Ob sich das Elsaß bewährt als Europabrücke und (nach Schickeies Wort)
als „Prüfstein" der deutsch-französischen Beziehungen, dies läßt sich wohl
nicht problemlos bejahen. So konnte sogar behauptet werden, das Elsaß sei
keine „Brücke", sondern eher ein Hindernis für die deutsch-französische
Verständigung. Schickele muß sich da im Grabe herumdrehen! Das Elsaß
ist ein Hindernis, insofern das „elsässische Problem", d.h. zugleich das
Problem des Deutschen im Elsaß, im offiziellen Gespräch (so auf deutschfranzösischen
Kulturgipfeln) tabu bleibt.65 Deutsch ist im Elsaß nicht bloß
„Sprache des Nachbarn" (wie es heute heißt), sondern (noch) Sprache des
Landes. Allerdings: wenn der Rhein immer weniger als eine politische und
wirtschaftliche Grenze gilt, droht er aber, immer mehr zur Sprachgrenze zu

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