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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
72. Jahresband.1992
Seite: 383
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Belebte Orgeln sind zu Karls des Großen Zeit aus dem Orient, aus Bagdad
und Byzanz bekannt geworden und haben die Phantasie des Mittelalters
beschäftigt. Solche mechanische Wunderwerke werden in der Dichtung
beschrieben. Wolfram von Eschenbach etwa schildert im „Titurel" solche
Orgeln, in denen Vögel pfeifen und Figuren sich bewegen und singen50.

Das Straßburger Münster besaß also mit der astronomischen Uhr und der
Orgel gleich zwei bedeutende mechanische Kunstwerke.

1501 schrieb Geiler von Kaysersberg an den Rat der Stadt einen Protestbrief
mit 21 Forderungen, darunter war auch die: „Den mißbrauch des Ror-
affen im Münster abschaffen!"51 Denn dieser würde nur die heilige Kirche
und die Gläubigen verspotten, indem er „zu ynen schriget, lachet und up-
pigliche wort und gesenge usz stoßet"52.

Den brüllenden Löwen und den Rohraffen benutzte Kaysersberg noch im
Jahr 1507 in einer beeindruckenden Predigtserie voller anschaulicher Bilder
und machte beide Gestalten dort nutzbar für seine theologischen Zwecke.
„Der höllische Löwe" ist natürlich der Böse, der am liebsten, nach Plinius
und Albertus Magnus, Affen als Arznei frißt, wenn er krank ist. „Und der
Teufel, wenn er krank und ohnmächtig ist, und es kömmt dann ein Affe, das
ist ein Fürst oder Regent, in seine Gewalt, dann wird er stärker, mächtig und
gesund. (...) Die weltlichen Regenten sind Affen, und nicht schlechte Affen,
sondern Rohraffen. Die aber verzehrt der Teufel besonders gern"53.

Ein fastnächtlich anmutender Brauch wurde mit dem Rohraff hier an Pfingsten
zelebriert. Und es gab noch eine andere Gestalt, die zu dieser Zeit im
Münster ihren angestammten Platz hatte, „das wilde weib von Geispolsheim
", eine Maskengestalt aus einem Dorf bei Straßburg. Auch diese erhielt
von der Münsterverwaltung aus Tradition ein Trinkgeld, damit sie in
der Kirche ihr Wesen treiben konnte, auch sie übte also einen legitimen und
gewollten Brauch aus.

Der „Rohraff' wird hier deshalb vorgestellt und in Erinnerung gerufen,
weil er für eine bestimmte, damals akzeptierte und im Verständnis der
Gläubigen wie der Kirche legale Form der Beeinflussung durch populäre
Unterhaltung zu stehen scheint. Eine Erscheinung übrigens, die in der Kirche
über Jahrhunderte ihre Tradition hatte und mit der Einführung der Fasnacht
ebenso verbunden ist wie mit anderen Bräuchen, die bewußt in der
Kirche angesiedelt wurden. Daß über viele Jahrhunderte hinweg auch ein
Volksfest an Pfingsten mitten im Münster stattfand, wundert deshalb schon
nicht mehr54. Erstaunen macht sich allenfalls vielleicht noch breit, liest man
von den Kirchweihfeierlichkeiten im Münster: „Auf einem der Altäre lag

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