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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
74. Jahresband.1994
Seite: 405
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che die Leute in selbigem Land genössen, hier aber dazumal die Leute nicht nur
ungemein mit Fahrdiensten geplagt worden, daß mancher 4 bis 5 Tage in einer
Woche fronen mußte, sondern unser Fürst auch einige 100 Söhne aus den zwei
Ämtern zu Kriegsdiensten ausgezogen und endlich von hier nach Pirmasens gezogen
, dazu auch zur Unterhaltung derselben über alle andern Beschwerden auch ein
starkes Monatsgeld gefordert, so entstund ein großer Lärmen, daß viele mit ihm
dahin ziehen wollten, das aber die Herrschaft nicht zulassen und ihnen alles mit
Arrest belegte, dessen aber ungeachtet, weil sie nicht viel zu verlassen hatten, zogen
bei Nacht davon ..." (Es folgt die Aufzählung von fünf Familien: Wohlfart,
Rauh, Reichert, Kauz, Bertsch).

Man zählte damals 30 000 Seelen aus dem Elsaß, der Schweiz, dem Breisgau
und Schwaben, die nach Rotterdam zogen, um sich dort nach Amerika
einschiffen zu lassen.

„Ob nun solche nach Pennsylvanien kamen, oder nicht anderwärts geführt und
verkauft wurden, weiß der liebe Gott (notiert durch Pfarrer Müller)."

21 Jahre später, im Notjahr 1770 schickte der Kaiser General von Ried
nach Offenburg, damit er hier für eine Auswanderung nach Ungarn werbe.
Der General hatte auch außerordentlichen Erfolg. Mehr als 70 000 Personen
hatten sein Angebot angenommen. „Im Herbst gingen alle Tage 50 bis
100 Personen durch Lichtenau." Die hanauische Regierung ihrerseits erlaubte
allen Untertanen, die weniger als 250 Gulden Vermögen hatten, die
Auswanderung, so daß aus den beiden Ämtern (Lichtenau und Willstätt)
über 150 Familien weggingen. Von Lichtenau wanderten 5 Familien mit
insgesamt 30 Personen nach Ungarn aus. 16 Personen verzogen nach Pirmasens
. Von Helmlingen wollten 49 Personen auswandern, von Grauels-
baum nur eine. Das machte im gesamten Kirchspiel eine Gesamtzahl von
96 Seelen.

Über die Ursache der Auswanderung meinte Pfarrer Neßler:

„Nicht allein die Teuerung, sondern der große Geldmangel, die Schuldenlast der
Leute, der harte Druck und außerordentliche Geldschneiderei einiger Beamter und
überhaupt der elende Zustand unserer Untertanen waren die Gründe, welche unsere
Leute zur Emigration bewogen haben."

Die Aufzählung der Auswanderungsgründe wie Pfarrer Müllers Bericht
(1749) nutzen in einer auffälligen Parallelität die Gelegenheit, um die negativen
Seiten der Regierungspraxis an den Pranger zu stellen. Von einer
unterwürfigen Untertanenhaltung, wie sie in vielen Akten mit der Floskel
vom „Ersterben" erscheint, ist nichts zu bemerken. Dabei ist ziemlich sicher
, daß in diesem Duodezstaat die beiden Pfarrer alle maßgebenden Räte
kannten. Unser Klischee vom gehorsamen Untertanen dieser Zeit bedarf
offenbar einer Korrektur. Vielleicht waren ähnlich mutige Äußerungen von

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