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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
74. Jahresband.1994
Seite: 406
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Pfarrer Ernst Ludwig Neßler (Neßler junior, Amtszeit 1786-1806) der
Grund, daß fast alle Einträge dieses Mannes in der Pfarrchronik fehlen. Sie
wurden aus dem Band herausgerissen und zwar, wie Pfarrer Schoch vermutet
, durch die Hand seiner Frau, die nach dem Tode ihres Mannes das
Buch in Verwahrung hatte. Die eigentliche Ursache der Auswanderungswellen
, nämlich das Mißverhältnis zwischen Ressourcen und Bevölkerungszahl
, erkannte keiner der beiden Geistlichen. Ihr Motto war: „Bleib
im Land und nähr dich redlich."

Wie zu erwarten war, rief auch die dritte Hungerkrise in der Berichtszeit
der Chronik (1816-1817) eine Auswanderungswelle hervor.

„Eine Folge dieser großen und in vielen Gegenden wirklich fürchterlichen Not und
Mangel war nun diese, daß viele Tausende durch gewisse Betrüger irregeleitet, nach
Nordamerika auswandern und daselbst sich ein besseres Los suchen wollten."

Nach vagen Gerüchten sollte diese Auswanderung durch die „Freistaaten
(USA)" von Amsterdam an großzügig und bis ins kleinste organisiert sein.
Die Überfahrt sollte nichts kosten und im Land der Sehnsucht wartete auf
jeden der Einwanderer eine Starthilfe:

Haus, Zugvieh, Ackergerät, vier Morgen bestes Land und vieles andere
mehr. Von diesen paradiesischen Verlockungen angezogen, entschlossen
sich im Kirchspiel Lichtenau acht Familien und zwei Einzelpersonen auszuwandern
. Sie kauften ein Schiff und fuhren mit demselben am 2. Mai
1817 von Graueisbaum in Richtung Amsterdam ab. Dort stellte sich heraus
, daß alle sogenannten Versprechungen Luftblasen waren.

„Von Elend, Mangel und Not niedergedrückt kehrten hierauf gar viele wieder in
ihr Vaterland zurück und kamen mit Läusen und Ungeziefer übersät hier durch un-
sern Ort und vermehrten unsere ohnehin so große Zahl von Bettelleuten. Von den
aus der hiesigen Pfarrei Ausgewanderten kamen ebenfalls wieder nach und nach
zurück: ... (Es folgen die Namen von fünf Familien: Pfaadt, Lauppe, Schiele.
Jung, Wagner). Was aus den übrigen von hier ausgewanderten Personen geworden
ist, und wo dieselben hin gekommen sind, dies weiß und will niemand wissen."

Nach der traurigen Bilanz dieses mißglückten Auswanderungsversuchs erhebt
sich die Frage nach den Ursprüngen der Gerüchte, die die Leute zu
ihrem Entschluß veranlaßten. Sollten es wirklich Betrüger gewesen sein,
die diese falschen Hoffnungen erweckten, dann müßten diese doch für sich
irgend einen Nutzen erwartet haben. Ein solcher ist aber nicht erkennbar.
Wahrscheinlicher ist die Annahme, daß vom Wein angeregte Gemüter ihre
Phantasiegebilde formulierten, und was heute Traum war, war morgen
„Tatsache", denn die Leute glaubten an diese Märchen, weil sie daran
glauben wollten. Auf einem ganz andern Blatt steht die Frage, warum die

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