Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 519,m
Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
74. Jahresband.1994
Seite: 503
(PDF, 127 MB)
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sie ihre Feste und wie gingen sie mit Geburt, Krankheiten und Tod um?
Scheinbar banale Fragen, die die Historiker lange Zeit nicht gestellt haben.
Jetzt scheuen sie nicht mehr davor zurück, in die Niederungen alltäglicher
Verrichtungen hinabzusteigen. Betriebe und Werkstätten, Schnapskasinos
und Mietskasernen, Stadtteil und Straße, Provinz und Dorf - das sind Orte,
vor denen die historische Neugier nicht länger Halt macht. 'Geschichte
von unten' lautet das neue Zauberwort."49

Für den, der Hansjakob kennt, ist dieses Zauberwort durchaus nicht neu.
Immer hat Hansjakob die Geschichte von unten gesehen und geschrieben,
also aus der Perspektive derer, die sie nicht machten, sondern mitmachen,
miterleben und miterleiden mußten. Wie ein Archäologe hat er die Spuren
der Geschichte in den unteren Schichten, in der Unterschicht, gleichsam
ergraben, geborgen und gesichert.

Aber es gibt in der Geschichtswissenschaft noch ein neueres Zauberwort,
das mit der 'Geschichte von unten' eng zusammenhängt: es lautet 'oral hi-
story'. "Gemeint ist damit eine Forschungstechnik, die zuerst in den USA
und England Verbreitung gefunden und sich dort schnell zu einem wichtigen
Zweig der zeitgeschichtlichen Forschung entwickelt hat. Sie bedient
sich des Erinnerungsinterviews, um in Bezirke der Sozialkultur und Alltagswirklichkeit
hineinzuleuchten, die mit den herkömmlichen archivali-
schen Quellen nicht erfaßt werden können. In der Bundesrepublik ist die
'oral history'-Methode erst in den letzten Jahren mit dem Aufkommen der
Alltagsgeschichte populär geworden, und sie beginnt auch in den Universitätsseminaren
allmählich Fuß zu fassen."50

Auch dies war, wie zur Genüge gezeigt wurde, für Hansjakob schon selbstverständlich
. Er wußte, daß da unten nichts aufgeschrieben, aber alles immer
wieder besprochen wird, und daß man die da unten zum Sprechen
bringen, aushorchen und ausfragen muß; und daß man das, was sie dann
sagen, protokollieren und dokumentieren muß. Und wenn einmal einer
nicht so recht mit der Sprache herausrücken wollte, ließ ihn Hansjakob von
einem Gewährsmann, einem „ganz vortrefflichen Reporter" regelrecht
„interviewen"51 - auch diese Begriffe kannte er bereits. Und wenn einer,
wie etwa der Seifensieder Theodor Armbruster in Wolfach, nicht persönlich
befragt werden konnte, überschüttete ihn Hansjakob postalisch mit
Fragen und langen Fragebögen. Da wollte er dann ganz genau wissen, wie
man Flöße einband, wie man Gesellen freisprach, wie es in Familie und
Schule zuging, wie man einander nannte und warum, was man einander
zur Hochzeit schenkte; und er mußte dem Theodor ordentlich schmeicheln,
um ihn gefügig zu machen.52

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