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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
74. Jahresband.1994
Seite: 644
(PDF, 127 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1994/0644
waren. Überschriften einzelner Unterkapitel
umreißen den Alltag der im Offenburger
Leben ausgegrenzten Menschen:
..Hunger auf Bezugsschein; Rassismus im
Gesundheitswesen, verbotener Umgang
mit Kriegsgefangenen". Widerstand der
Zwangsarbeiter gegen die zum Teil unmenschliche
Behandlung war nur unter
größter Gefahr möglich. Die unauffälligste
Form des Widerstandes war die Leistungsverweigerung
, die auch in den Offenburger
Firmen betrieben wurde. Wer
bei angeblicher oder tatsächlicher Sabotage
erwischt wurde, hatte das Schlimmste
zu befürchten. Etwa 10% der Kriegsgefangenen
suchten sich durch Flucht der
Zwangsarbeit zu entziehen. Wenig ist bekannt
über organisierte Formen des Widerstandes
unter den Zwangsarbeitern.
Die wichtigste Organisation war die „Brüderliche
Vereinigung der Kriegsgefangenen
", die von Offizieren der Roten Armee
in einem Münchner Lager Ende 1942 gegründet
worden war. Die Vereinigung bereitete
sich auf den bewaffneten Kampf
gegen das NS-Regime vor und propagierte
die Sabotage am Arbeitsplatz. Sie wurde
vor allem von russischen Kriegsgefangenen
getragen. In Offenburg eingesetzte
Mitglieder der Vereinigung bildeten ein
Ortskomitee. 1944 war es der NSDAP gelungen
, die „Brüderliche Vereinigung" zu
zerschlagen, ihre Mitglieder wurden in
Mauthausen und Dachau ermordet.
Die Angriffe der US-Luftwaffe am 27.
November 1944 auf Offenburg und Freiburg
läuteten das Ende des Krieges in Baden
ein. Die kriegswichtigen Betriebe
wurden in das Landesinnere verlegt und
mit ihnen der größte Teil der Kriegsgefangenen
und Zwangsarbeiter. Die in Offenburg
zurückgebliebenen Fremdarbeiter
reichten nicht mehr aus, die durch ständige
Bombardements immer wieder zerstörten
Gleisanlagen und Reichsbahneinrichtungen
instand zu setzen. Der Offenburger
Güterbahnhof hatte in den letzten Kriegsmonaten
eine wichtige Rolle übernehmen
müssen, von hier aus rollte nachts der

Nachschub an die Westfront. In dieser Situation
wurde eine weitere Gruppe von
Zwangsarbeitern nach Offenburg geholt:
Sklavenarbeiter aus den Konzentrationslagern
, die von der SS an Firmen und
Behörden vermietet wurden. Über 2000
KZ-Häftlinge aus vier KZ-Außenkommandos
waren in Offenburg im Einsatz,
untergebracht waren sie in Güterwagen
(rollende KZ's) und in der Ihlenfeldkaserne
. Die Häftlinge waren ständig der Willkür
der SS ausgesetzt. Sie mußten bei
grimmiger Kälte mit bloßen Händen beschädigte
Gleise reparieren, ohne geeignetes
Werkzeug Bombentrichter zuschütten
und Blindgänger entschärfen. Ihr Einsatz
kann mit dem Begriff „Vernichtung
durch Arbeit" umschrieben werden und
mündete schließlich in ein Massaker. Als
die französischen Truppen sich Offenburg
näherten, ordnete der Kommandant am
12. April 1945 den Abtransport des Kommandos
an. Um nicht von den marschunfähigen
und kranken Häftlingen behindert
zu werden, ließ er sie auf bestialische
Weise von SS-Männern und Kapos in
einem Keller der Ihlenfeldkaserne ermorden
. Die 41 Leichen wurden auf den
Offenburger Friedhof gekarrt und dort in
einem Massengrab verscharrt. Heute erinnert
eine Gedenkplatte auf dem Friedhof
mit den Namen der Opfer an das Massaker.
Die Arbeit von Bernd Boll erhält ihre
Qualität nicht zuletzt durch den Einbezug
von schriftlichen und mündlichen Erfahrungsberichten
betroffener Zeitzeugen.
Der Kontakt mit diesen Menschen, die
vielleicht zum ersten Mal über ihren leidvollen
Zwangsaufenthalt in Deutschland
berichteten, prägt die Arbeit. Die Mehrzahl
der von Boll Befragten gaben bereitwillig
Auskunft, während einige sich
nicht mehr der schmerzvollen Erinnerung
aussetzen wollten.

Das bereitwillige Entgegenkommen der
Zeitzeugen steht im Kontrast zu dem Desinteresse
der von Boll angeschriebenen
Firmen, die in einem nicht geringen Maße
vom Einsatz der Zwangsarbeiter profitier-

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