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den, weil sie nichts entscheiden, sondern nur Empfehlungen aussprechen
konnten. Parlamentarische Regeln, wie die Begrenzung der Redezeit, waren
noch nicht vereinbart.
Professor Welcker, Kollege von Büß an der Universität Freiburg, behauptete
, nicht einmal ein Tausendstel der badischen Bevölkerung wolle jenen
Katholizismus, wie Büß ihn vertrete. Welcker war Liberaler und von Büß
zutiefst enttäuscht, weil dieser früher als sein Student auch liberal gesinnt
war, aber dann plötzlich ins Lager der Konservativen wechselte.
Fünfzehn Abgeordnete verzichteten schließlich auf ihre Rede, um endlich
zur Abstimmung zu kommen. Von den 63 Volksvertretern stimmten 36 für
die Gleichstellung der Deutschkatholiken, 26 dagegen. Die übrigen enthielten
sich.
Büß im Alleingang
Bereits am nächsten Tag versuchte Büß über die Niederlage durch einen
neuerlichen Antrag hinwegzukommen. Wenn den Deutschkatholiken dieselben
Rechte eingeräumt werden sollten und der Staat sich auf diese Weise
den verschiedenen religiösen Richtungen gegenüber neutral verhalten
will, dann solle er sich künftig auch nicht mehr so massiv in die Verwaltung
der Kirche einmischen.
Die Staatsbegeisterung des 19. Jhs. wünschte, daß der Staat auch die Kirche
erneuern sollte. Als 1831 sich eine ganze Reihe von Freiburger Professoren
, darunter auch der Professor für kath. Kirchenrecht, Amann, sowie
156 Geistliche an die Badische Abgordnetenkammer mit der Bitte wandten
, sich beim Großherzog für die Abschaffung des Pflichtzölibats einzusetzen
, erwarteten sie die Kirchenreform nicht von der kirchlichen Hierarchie
, sondern von der staatlichen Regierung.
Die liberale Begeisterung für den aufgeklärten Staat nahm keinen Anstoß,
wenn dieser die Kirche ans Gängelband oder gar an die Kandare nahm,
obwohl dies dem Grundsatz der Liberalität widersprach. An diesem
Schwachpunkt setzte Büß mit seinem Antrag für mehr Freiheit der Kirche
an. Sein Einsatz kam allerdings etwas überstürzt. Er hatte sein Vorhaben
nicht mit seinen Gesinnungsfreunden abgesprochen, und er wußte, daß es
daher zum Scheitern verurteilt war. Aber in seiner Bitterkeit über die Abstimmungsniederlage
vom Vortag war der Trotz stärker als die Vernunft. Er
wolle damit seinem Pflichtgefühl und seinem Eid genüge tun, rechtfertigte
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