Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 519,m
Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
76. Jahresband.1996
Seite: 377
(PDF, 127 MB)
Bibliographische Information
Startseite des Bandes
Zugehörige Bände
Regionalia

  (z. B.: IV, 145, xii)



Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0
Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1996/0377
Damit bewegt sich Lahr knapp über dem badischen Durchschnitt, hinkt allerdings
hinter anderen badischen Städten her6.

Es läßt sich also zeigen, daß Lahr zwar nicht die „Speerspitze" der badischen
Arbeiterbewegung darstellt, aber auch nicht unbedingt als das „abschreckende
Beispiel"7 der deutschen Arbeiterbewegung gelten muß.

Die zweite These, die nicht nur in bezug auf Lahr, sondern generell für Baden
gerne in Anspruch genommen wird, besagt, daß es in Baden (und auch
in Lahr) einen relativ hohen Anteil von Arbeitern gegeben habe, der noch
über (wenn auch geringfügigen) Besitz an Grund und Boden verfügt habe.
Hubert Locher meinte dazu: „Dies blieb nicht ohne Rückwirkung auf die
Arbeiterschaft, die hier, im Unterschied zu den anderen westeuropäischen
Staaten, die Fühlungnahme mit dem Boden nicht verlor. Das kleinbäuerliche
Element stellte den Fabrikarbeiter in den meisten industriellen Unternehmungen
. .. . Dadurch war die Entstehung von Elendsvierteln, die leicht
zu Brutstätten des Kommunismus werden konnten, unmöglich gemacht."8

Gerne werden diese Arbeiter - wie ich meine, irreführend - auch als „Arbeiterbauern
" bezeichnet83.

Bevor wir diese These für Lahr empirisch überprüfen, seien einige methodische
und theoretische Überlegungen vorangeschickt. Der unmittelbare
Schluß von der sozioökonomischen Lage eines Bevölkerungsteil auf sein
politisches Verhalten ist ein ziemlich riskantes Unterfangen. Es ist
zunächst einmal nicht einzusehen, weshalb nicht auch viele andere - besonders
aber politische Faktoren - eine Rolle gespielt haben sollen.

Die Gleichung, daß der Besitz einer kleinen Parzelle gegen die Sozialdemokratie
immunisiert haben soll, orientiert sich viel zu stark an dem
Schreckensbild, das der Bürger des 19. und frühen 20. Jahrhunderts von
den Sozialdemokraten hatte. Verelendung, Verarmung und Kommunismus
waren für ihn ein und dasselbe. Aus der bürgerlich-liberalen Vorstellung,
daß nur der Besitz zu einem vollwertigen Mitglied der Gesellschaft macht,
wird im Umkehrschluß die Bedrohung durch die Besitzlosigkeit und Verelendung
konstruiert. Dementsprechend ist für die liberale Weltanschauung
auch nur die absolute Besitzlosigkeit zu politisch radikaler Einstellung
fähig. Noch heutige Historiker können sich der Suggestion dieser Ideologie
nicht entziehen und propagieren das Bild vom wirtschaftsfriedlichen
„Arbeiter-Bauern".

Tatsächlich aber sollte die frühe Geschichte der Arbeiterbewegung hier zu
einiger Vorsicht raten. Es waren ja gerade nicht die verelendeten, verhun-

377


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1996/0377