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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
76. Jahresband.1996
Seite: 622
(PDF, 127 MB)
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spazierte er hinein, war unbeschwert, und das Leben war leicht wie die
Seifenblasen, die er träumend in den Himmel sandte.

Aber bevor sich der Lebenskreis, der sich hier andeutete, vielleicht
schließen sollte, verlangte das Diesseits noch seinen letzten Tribut. Die
Krankheit kam auf leisen Sohlen. Leukämie lautete die Diagnose. Sie führte
zu einem langsamen Verfall der Kräfte. Eine seiner letzten Arbeiten waren
die Kreuzwegstationen in der Höfener Kapelle. Er kam damit bis zur
siebten Station: „Jesus fällt zum zweiten Mal". Dann fiel auch Andreas
Meier. Eine Behandlung mit falschen Medikamenten hatte eine Knochenauflösung
zur Folge. Die letzten Monate waren qualvoll; sein ganzer Oberkörper
war zur Stabilisierung in einen engen Gipspanzer gezwängt. Statt es
künstlerisch zu gestalten, mußte er selbst nun das Martyrium erleiden. Am
1. Oktober 1962 starb Andreas Meier in seinem Haus in Höfen.

Vieles von dem, was Meier geschaffen und erstrebt hat, gehört für uns heute
fast einer anderen Welt an. In seinem Tagebuch erwähnt er des öfteren
beispielsweise die sogenannte „Katzenmusik" - für Volkskundler zweifellos
ein originelles Fundstück. Denen, die nach 1960 oder 1965 als
Schutterwälder geboren wurden oder die von außerhalb kommen, wird
man aber erklären müssen, was es damit auf sich hatte. Die Katzenmusik
war ein liebevoll gemeintes Konzert, das die Dorfbuben mit Kochtopfdeckeln
allen Männern im Ort, die Andreas bzw. „Andres" hießen, am Vorabend
zu deren Namenstag am 30. November gegen einen kleinen, meist
in Naturalien entrichteten Obulus darbrachten. So wurde das Kirchenjahr
eingeleitet. Bald nachdem Meier tot war, starb dieser schöne Brauch aus.
Ob es Zufall ist, daß dieses spurlose Verschwinden in die gleiche Zeit fiel,
als in den Schutterwälder Wohnstuben das Fernsehn Einzug hielt? Heute
mag man es bedauern, aber jeder, der, wie auch der Autor, damals ein Bub
war, wird sich erinnern, daß man im Zweifelsfall sich dann eben doch eher
für „Bonanza" entschied. So geriet ein Stück urtümliches Brauchtum in
Vergessenheit, und mit anderen Stücken dieser eigenen Tradition war es
nicht anders. Dabei war es keineswegs nur das Fernsehn. Die Industrialisierung
kam nach dem Zweiten Weltkrieg auch auf dem flachen Land endgültig
zum Durchbruch, und so wurde jetzt die größte Zahl der Einheimischen
von Bauern zu Arbeitern, zu Angestellten, zu Unternehmern oder zu
Beamten. Entsprechend änderten sich binnen eines halben Menschenalters
rasant die Lebensgewohnheiten. Mit dem Fernsehn kam das Auto, und mit
dem Auto kam der Supermarkt, weil er auch von außerhalb erreichbar war;
auf der Strecke blieb der Tante Emma-Laden im Dorf. Es folgte das Telefon
, nach dessen Einführung man den Nachbar schon eher einmal anruft,
wenn man etwas von ihm will, als daß man noch unbefangen bei ihm
anklopft. Die siebziger Jahre stachelten dann auch hier kräftig die Reise-

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