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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
78. Jahresband.1998
Seite: 705
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liges darin. Nur derjenige, der sich nach der Glorie des Märtyrerthums
sehnt, stellt sich einem übermächtigen Feinde; ist man einmal geschlagen,
flüchtet man, wie man eben kann. (...) Ich sehe nicht ein, warum der vom
Erschossenwerden bedrohte Herwegh nicht unter ein Spritzleder hätte
kriechen sollen? Doch ist die ganze Geschichte nicht wahr, die Fabel erhielt
sich nur, weil Herwegh zu stolz war, in der Sache eine Erklärung von
sich zugeben. Ein Turnlehrer Namens Spieß, Vorstand hessischer Turner,
erzählte viele Jahre später, wenn sich Gelegenheit dazu ergab, wie die
ganze Spritzledergeschichte eine Erfindung von ihm sei. Er führte sie als
ein schlagendes Beispiel dafür an, wie eine beim Glase Wein zum Besten
gegebene Fabel, wenn sie sich an einen berühmten Namen knüpfe, lustig
weiter cursire, in die Zeitungen gelange und schließlich als „Thatsache"
figurire, wo sie alsdann im Partei-Interesse ausgebeutet werde. In der That
hat die Lüge, wenn sie nur auf den richtigen Boden fällt, ein Wachsthum
wie die Wasserpest19.

Das Fazit: der in diesem Punkt unsichere Rechenschaftsbericht eines württembergischen
Generals und der Jux eines hessischen Turners waren Ursache
für die lebenslange Verleumdung eines deutschen Literaten von republikanischer
Gesinnung. Ihre Verlautbarungen und Erfindungen fielen freilich
- es ging um einen Republikaner - auf fruchtbaren Boden. Aus diesem
Mutterboden erhob sich auch die Stimme des Erfinders jenes „Guckkastenliedes
vom großen Hecker". Erst seine witzigen und mundgerechten Verse
trugen das Bild vom feigen Herwegh in breite Schichten der Bevölkerung.
Auch er, der damals anonym gebliebene Liedersänger, war Literat, wie
Herwegh noch zu Lebzeiten erfuhr. Es war Karl Gottfried Nadler
(1809-1849), der mit der Gedichtsammlung „Fröhlich Palz, Gott erhalts"
(Frankfurt 1849) die pfälzische Mundartdichtung begründete, ein begabter
Lyriker und gewiefter Humorist20. Ob er Herwegh bewußt schaden wollte
oder ob nur die humoristische, auch die satirische Laune mit ihm durchging
? Daß er in den Jahren zuvor, im Vormärz, den gemäßigten Liberalen
nahestand und der radikaldemokratischen Opposition, zu der Herwegh
gehörte, kritisch begegnete, spricht eher für eine bewußt satirische Absicht.

Die nationalliberalen Kräfte, die nach der gescheiterten Erhebung von
1848 im Feld der öffentlichen Presse meinungsführend waren und die nationalpatriotischen
Parteien, die nach der Reichsgründung von 1871 die
Öffentlichkeit prägten, gaben keinen günstigen Boden her, um das Andenken
an die ersten kämpfenden Demokraten in Deutschland zu wahren. Verschweigen
und Verleumdung waren die gewöhnlichen Mittel der Verdrängung21
. Noch heute erinnert kaum ein Denkmal, kaum eine Grabstätte an
die Aufständischen der Jahre 1848 und 1849. An Initiativen, durch Denkmale
wenigstens an die 1849 Erschossenen zu erinnern, hat es im späten

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