Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 519,m
Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
79. Jahresband.1999
Seite: 666
(PDF, 129 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1999/0666
„nach der zahlreiche Persönlichkeiten des
damaligen politischen und öffentlichen
Lebens, sog. Erfüllungs-Politiker, Bankiers
und Juden mit einem Schlag erledigt
werden sollten. Sie haben Herrn Tillessen
die Liste gezeigt." Nicht nur Tillessen hatte
sie gesehen - von ihr war oft die Rede
in Kreisen der „jungen Leute" Ehrhardts,
auch das Freikorps-Liedgut bezog sich
auf sie. Beispiele sind in einer Broschüre
aus Bühl abgedruckt, die Gebhardt jedoch
nicht zu kennen scheint. Sie ist auch deshalb
bemerkenswert, weil sie eine der wenigen
republikanischen, Erzberger-frcund-
lichen Schriften ist in jener Zeit.
Tillessen hatte nicht nur Ehrhardt geschont
, sondern auch gegenüber dem Mittäter
Schulz sich als Hauptfigur bezeichnet
- was der ausnutzte und sich nicht bedankt
haben soll.

Was Ehrhardt 1954 erwiderte, ist noch
nicht bekannt. Aber wie seine weitere
Einstellung zu den Morden war, steht in
der Presse. Leider wurden Zeitungen und
Zeitschriften - seit 1921! - bei Gebhardt
kaum berücksichtigt. Etwa jenes einschlägige
Wochenblatt namens KRISTALL, in
dem viele Pg.s ihre Erlebnisse im „Dritten
Reich" ein wenig aufpolieren konnten, in
dem eine Serie über die garnicht so „goldenen
Zwanziger Jahre" erschien. Im ersten
KRISTALL-Heft 1963 waren „Wesen
und Geschichte der Organisation Consul
als ,Mörderzentrale' ausführlich dargelegt
". Der empörte Ehrhardt schrieb
gleich hin, wie er einem Freikorps-Kameraden
stolz mitteilte, der ebenfalls den
schönen Zeiten nachtrauerte. Und in der
Tat, der Leserbrief enthält das offene Bekenntnis
des aufrechten Alten mit der
Uberschrift „Zum Sieben war keine Zeit".
„Der Freikorpskämpfer, ein politischer
Kämpfer, sah den Feind nicht nur im
Kommunisten, sondern auch in den internationalen
Persönlichkeiten, den Vaterlandslosen
, Ehrgeizlingen, den Würdelosen
und Verrätern. Diese zu beseitigen,
hielten sie für ihre vaterländische Pflicht.
Sie bedurften hierzu keiner Mörderzentrale
und keiner Befehle", so spielt Ehrhardt
noch immer seine Aufträge herunter
(„Ihre Persönlichkeit, Ihr Einfluss und
Ihre Führer-Natur bewirkten, dass Herr
Tillessen sich von Ihnen zu dem Attentat
anstiften liess", hatte der Anwalt 1954 geschrieben
). „Vielleicht traf es dabei auch
mal einen Unrechten, zum Sieben war keine
Zeit, und es lag diesen Freikorpsmännern
auch nicht. Sie handelten aus Vaterlandsliebe
, ohne Furcht vor Strafe und
Tod. Solche Männer wie Killinger, Tillessen
, Schulz, Kern, Fischer als gemeine
Mörder zu zeichnen und auf eine Stufe mit
Raub- und Lustmördern zu stellen, kann
nur jemand, der die Zeiten 1918 bis 1922
überhaupt nicht beurteilen kann."
Weshalb wurde Ehrhardt nie angeklagt,
wo doch schon 1921 nicht nur in Offenburg
und Berlin mit Fingern auf ihn gezeigt
wurde? Auch das Plädoyer Baders,
der die Todesstrafe für Tillessen forderte,
benennt den Hintermann.
Die Dissertation enthält leider keine wesentlichen
neuen Erkenntnisse, wertet
nicht einmal die Literatur vollständig aus.
Und die Akten. Oder wird irgendwo erwähnt
, daß Schulz und Tillessen zusätzlich
zu ihrem Gehalt noch laufend eine
Sonderzahlung Himmlers erhielten? Die
NS-Führung hielt große Stücke auf diese
„Helden", die - im Unterschied zu Killinger
- garnicht glücklich mit dieser Rolle
waren. Der depressive Tillessen, dessen
Parteibuch jahrelang nicht aufzufinden
war, weil er nicht wußte, zu welcher Ortsgruppe
er gehörte, und der (auch ohne
Malaria und Alkoholismus) unfähige
Schulz, den keine SS-Dienststelle behalten
wollte, der aber nur mit Genehmigung
von Himmler rausgeworfen werden durfte
- eine Plage der Personalchefs. Beide
„Helden der Bewegung" führten ein recht
klägliches Leben nach ihrer Rückkehr
1933. Und Ehrhardt stand ohnehin - wie
Himmler - unter dem Pantoffel, zehrte
schon vor 1930 nur noch von seinem Mythos
. Das sollte die Geschichtsschreibung
deutlich werden lassen.

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