Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 519,m
Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
81. Jahresband.2001
Seite: 440
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Clemens Rehm

blickliche Zustand von St. Quentin einen unauslöschlichen Schandfleck
auf der deutschen Kultur bedeutet." Und voller tiefster Ironie fuhr er fort:
„ ... daß nun derartige durch nicht die geringste militärische Notwendigkeit
gerechtfertigte Bilder einer viehischen Zerstörungswut Zeugnis ablegen,
daß die Deutschen 'keine Spur' von Barbaren in sich tragen. Ich muß sagen
, daß ich mich in diesen zwei Tagen gezwungen sah, meine Anschauungen
vom idealen Grundgedanken der Kriegsnotwendigkeit von Grund
au[f] zu revidieren und einen grenzenlosen Abscheu verspüre vor der bete
humaine, die sich in solchen Orgien einer sadistischen Rohheit ergeht, die
ihresgleichen auf der Welt nicht mehr hat. ... Augenblicklich könnt[e] ich
brüllend schreien vor grenzenloser Empörung und Ekel."11 Vier Wochen
später erlebte Brandel Geck den Brand der Kathedrale als Augenzeuge:
„Nachdem sie uns am Mittag die ganze Stellung zusammengeschossen hatten
, lag abends das Feuer auf der Stadt und bald fing die Kathedrale Feuer.
... Und dann fing die Kuppel Feuer und nun raste das rote Element in den
herrlichen Bau. Die ganze Nacht hindurch war der Himmel in Flammenschein
gehüllt. Ich mußte weinen ..."'2 Und zwei Tage später: „Sie ist
ausgebrannt und unwiederbringlich dahin. Ich könnte heulen vor
Empörung."13 Was macht ein Mensch, der Mensch bleiben möchte, in diesem
Desaster?

Brandel Geck fragte sich nach dem Sinn des Krieges. Er schrieb nach
Haus, daß er in gutem Glauben gekämpft habe, aber nun beginne echter
Zweifel. „Den äußeren Anstoß gab mir das furchtbare Erleben in Quentin."
Und einige Tage später drang er zum existenziellen Kern des Seins vor:
„Es handelt sich doch nicht darum, ob ich fallen kann oder nicht, sondern
die Frage ist für mich, wie kann ich es nach der neuen Erkenntnis, mit der
ich nun der Sache [also dem Krieg] gegenüberstehe, vor meinem Gewissen
verantworten, länger Teil an ihr zu haben."14

Die Frage, ob gut zu handeln möglich wäre, wenn man in eine unrechte
Sache wie den Krieg eingebunden sei, bejahte Brandel Geck für sich. Vor
den Trümmern beschloß er, im Rahmen seiner Möglichkeit ein Zeichen zu
setzen: „Ich will in diesen Tagen versuchen, einige Sachen und Bücher, die
mir wertvoll erscheinen aus dem Leichenhaufen zu bergen und zurückzuschicken
, damit sie nicht dem allgemeinen Untergang verfallen."15 - „Es
tröstet das Bewußtsein, wenigstens einen verschwindenden Bruchteil der
wahnwitzigen Zerstörung zu entreißen. Der Wert, der hier in Quentin ohne
Notwendigkeit viehisch ruiniert wurde, beträgt etwa 1 Milliarde Mark nach
vorsichtiger Schätzung, ohne den großen idealen und künstlerischen
Wert."16 Über Versendungen von Koffern haben wir briefliche Nachweise,
ohne daß geklärt werden könnte, mit welcher Sendung die vorliegenden
Stücke transportiert worden sind.17

Wir können heute nach Kenntnis der Briefe sagen: Hier hat ein Mensch
das Kulturgut nicht aus Eigeninteresse geraubt, sondern versucht, letzte


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