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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
82. Jahresband.2002
Seite: 123
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Die Landschaft nach Grimmelshausen

Rita Breit

Linden muss er gekannt haben. Nicht die Tamarisken, Paulownien, Datura.
Diese Schönheiten sind lange nach ihm gekommen. Aber Nussbäume muss
er gekannt haben. Rebstöcke natürlich. Veilchen. Maiglöckchen. Nießwurz.

1638 wird Grimmelshausen mit dem Krieg und seinen Kerlen an den
Oberrhein verschlagen, 1639 nach Offenburg als Musketier im kaiserl. Regiment
des Hans Reinhard von Schauenburg. Etwa siebzehnjährig dürfte er
da sein, 1621 oder 1622 geboren, mithin jünger als der Krieg, mithin darin
aufgewachsen. Ein Jahrzehnt danach - da ist der 30-jährige Krieg endlich
zu Ende - am 30. August 1649 setzt im Offenburger Kirchenbuch der Eintrag
von Grimmelshausens Heirat mit der einundzwanzigjährigen Tochter
seines Regimentsvorgesetzten, Katharina Hennigerin, einen Schlussstrich
unter die unendlliche Litanei der Toteneintragungen. Gültiges Versprechen
ans Leben. Dem Todesschatten zum Trotz. Von den neun Kindern werden
ihm drei früh sterben. Aber sechs werden überleben. Er ist jetzt etwa sieben-
undzwanzigjährig. Was der Krieg ihn gelehrt hat, taugt das nun für den
Frieden? man kann geschwind in die Holl rennen / aber wieder herauß zu
entrinnen / wird's Schnaufens und Bartwischens brauchen.' Am 7. September
tritt Grimmelshausen das Schaffneramt in Gaisbach (Oberkirch) im
Dienst seines früheren Regimentschefs an.

Was lernt einer im Krieg? Dass der Mensch ewig ist, solange er lebt.
Wie wertvoll das Leben ist. Das eigene. Und wie man dran hängt. Dass jeder
Mensch seinen Preis hat. Man selbst auch, wie theils Menschen säuischer
als Schwein / grimmiger als Löwen / gäiler als Bäck / neidiger als
Hund / unbändiger als Pferd / gröber als Esel / versoffener als Rinder /
listiger als Füchs / gefrässiger als Wölff/ närrischer als Affen / und gifftiger
als Schlangen und Krotten waren.2 Und wie schmal das Seil an der Kluft
zwischen Leben und Tod ist. Wie entsetzlich schmal. Und daß aus andern
Manns Leder sich gut Riemen schneiden läßt. Wenn einer Glück gehabt
hat, dann lernt er auch noch jenes verzweifelte Hinschauen, Sichstellen,
das am Ende einzig und allein noch wirksame Kräfte gegen den eigenen
Hilflosigkeitssog zu aktivieren und den Mitmenschen in seiner allertiefsten
Not zu erkennen vermag.

Der neue Schaffner ist kein Einheimischer. „Gelnhusanus" schreibt er
sich nach der Geburtsstadt Gelnhausen (Hessen), in deren Bäckerzunftbuch
(auf der Rückseite einer geschändeten Thorarolle) der Großvater Melchior
eingetragen ist. Ginster, Schwarzdorn, Vogelbeeren, Kastanien, Eichen:
karge hessische Mittelgebirgslandschaft. Korn. Rüben. Habersaat. 1645
bis 1715 ist ein Zeitraum mit geringer Sonnenaktivität. Diese Landschaft


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