Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 519,m
Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
82. Jahresband.2002
Seite: 131
(PDF, 145 MB)
Bibliographische Information
Startseite des Bandes
Zugehörige Bände
Regionalia

  (z. B.: IV, 145, xii)



Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0
Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau2002/0131
Die Landschaft nach Grimmelshausen

131

gibt in der jüdischen Tradition eine Anekdote von der Tochter des Rabbi
Akiba, über den Einfluss der Gestirne, der durch gutes Handeln wirkungslos
wird.8 Das ist die weisere, die menschlichere Version. Die von Grimmelshausen
erzählte prägt den bäuerlichen Alltag seiner Zeit und seiner
Gegend. Und ist jenem Alltag auch entnommen. Alles hat seinen Moment,
und die Welt ist immer noch ein bisschen der Mittelpunkt des Weltalls, und
die Mitte des Abendlandes ist hier, just hier - jedenfalls doch so ziemlich
nahebei und weithin sichtbar. Von der Schauenburg aus. Von der Ullenburg
von damals. Von Renchen aus, wenn der Schulthess die paar Schritt den
Hügel hochgehen mochte: Straßburg.

Alles hat seinen Moment. Alltägliches: Zwetschgen besser auf Schlehen
- als auf Pflaumenunterlage zu pfropfen, gegen Zahnweh Kampferöl
übergestrichen / und (ach ja, wann du es koentest) den Lapidem Philoso-
phorum glücklich zu verfertigen ein Anstalt machen. Ironie, Historisches
und Histörchen-Kamellen wie jene von einer antiken Aemilia, die sich in
einen Aemilius wandelt. Deftige Simplicissimusanekdoten. Bauernregeln,
Kalenderweisheiten. Mitunter heftig Verstiegenes. Kryptisches. Ganz offen
Aufreißerisches. Dazwischen die Perlen: zauberhaft Lebenskluges wie die
Vorwegnahme der Jeder-soll-nach-seiner-Facon-selig-werden-Einstellun-
gen gegenüber einem Renegaten. Nichts weniger als das Modell einer Zivilgesellschaft
wird hier geformt: das Toleranzmodell. So wird vom rechtschaffen
offenherzigem Teutschern gefordert, dass er über den Ressentiments
zu stehen hat. In einer Simplicissimus-Tischrunde im Renchtal am
Abend des Dreißigjährigen Kriegs wird allen Teilnehmern streitbarer Respekt
und Stimme gleichermaßen zugestanden: dem Bauer, der Bäuerin, der
Courasche, dem Reb Aron, der Eierfrau, den Handwerksgesellen. Das ist
die wirkliche Friedensvision. Und die größte Utopie von allen. Bis heute.

*

Der Mensch ist ewig, solange er lebt, aber alles, was er erfindet, lehnt
sich am Ende gegen ihn auf. Emmer und Spelt stehen in Garben. Ackerwinde
. Königskerze. Fingerhut. Sommer ein Wort lang. Die Kriegswerber
des Sonnenkönigs ziehen durchs Land. Und - Grundgütiger! - die Jungen
sind friedenssatt. Der Schultheiß schreibt sein eindringliches, wissendes
„Laßt euch nicht verführen!" eines Mannes, der den Honig noch hat aus
den Dornen lecken müssen. Einquartierung. Kontribution. Gewalt. Abends
die Gnitzen, die kleinen, flinken, lästigen Mücken. Nur der Adler kann seine
Sehnsucht nach dem Himmel stillen. Aber sich den Leiden überlassen
hieße sich mit dem Sündenfall identifizieren. Das Leben ist nicht mal fünfundfünfzig
Jahre alt. Wenn dir ein ungeladener grober Schmarotzer zu offt
kombt / so schmier ihm Löffel / Teller und Messer mit Tausendgüldenkraut /
das schadet ihm nichts es schmeckt ihm aber alles bitter. Das Dach hat


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau2002/0131