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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
82. Jahresband.2002
Seite: 441
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Faszinoswn, Filou und Forschungsobjekt: Das erstaunliche Leben des Hellsehers Ludwig Kahn 441

zu flach an seine Schläfe, dann greift er mit seiner Hand zu, um zu zeigen,
wie man die Hand auflegen soll, und tauscht dabei den Zettel aus, indem er
einen leeren Zettel unterschiebt, den man ahnungslos weiter an seine
Schläfe hält." Reese war somit mit den Zetteln unbemerkt immer einen
Schritt voraus, ein Täuschungstrick, der als „one-ahead-principle" bekannt
wurde.44 Für seinen Trick brauchte Reese „eine geschickte Hand, ein
schnelles Auge und Licht, denn im Dunklen geht es nicht."45 Recht schnell
registrierte Robert Meyer die biografische Verbindung zwischen den beiden
„Gedankenlesern" und kam aufgrund seiner Erfahrungen mit Reese zu
dem Schluss: „Nach allen äusseren und inneren Anzeichen haben nach
meiner Ueberzeugung Reese und Kahn die gleiche Schule des Schwindels
summa cum laude absolviert [...] Der Fall Reese und der Fall Kahn hören
somit auf, die Wissenschaft anzugehen; es gibt dafür nur ein kriminalistisches
Forum."46

In die gleiche Richtung wies ein Artikel des Frankfurter Psychologen
Hans Henning, der mit einem ausführlichen Bericht über die „Technik der
Hellseher" aufklären wollte und dabei die unerkannten Möglichkeiten
menschlichen Aufnahmevermögens erläuterte. So hielt es Henning beispielsweise
für möglich, dass Kahn aus der jeweiligen Schreibunterlage die
Texte ablesen konnte.47

Einzig der junge Tübinger Philosophiedozent Traugott Konstantin Oesterreich
wollte sich mit diesen Erklärungen vorerst nicht zufrieden geben;48
in seinem wohl ersten wissenschaftlichen Beitrag zum Thema Parapsycho-
logie widersprach einer der späteren Hauptvertreter der Disziplin den Thesen
Hennings und rekurrierte auf die erstaunlichen Freiburger Berichte:
„Das von Schottelius vorgelegte Material gestattet nicht daran zu zweifeln,
daß Kahn den Inhalt beschriebener Zettel auch anzugeben imstande ist,
wenn er weder Zettel noch Unterlage in die Hand oder zu sehen bekommt
."49 Oesterreich schlug deshalb vor, die Eventualität „parapsychischer
Funktionen [...] ins Auge zu fassen" und zur Klärung weitere Experimente
mit Kahn durchzuführen.50 Er selbst hielt telepathische oder hellseherische
Vorgänge für durchaus möglich, die allerdings durch bessere Versuchsanordnungen
geprüft werden müssten. Nur durch klar definierte
Experimente, so Oesterreich, könne „das Feld der Erklärungsmöglichkeiten
allmählich eingeschränkt werden."51 Nach seiner Einschätzung der Berichte
lag bei Kahn eher „Gedankenlesen" vor, entweder in Form von
„physiologischer Telepathie" oder „psychischer Telepathie", jedenfalls also
kein „Hellsehen" im eigentlichen Sinne: „Er ist Telepath [...] aber nicht die
Gedankeninhalte, sondern die visuellen Schriftbilder übertragen sich auf
sein Bewusstsein."52 Bei all dem wollte er schließlich die Betrugshypothese
nicht vollständig ausschließen, hielt diese jedoch für unwahrscheinlich.
Gleichwohl blieb bei Oesterreichs Analyse der biografische Hintergrund
Kahns sowie dessen „Verwandtschaft" mit Reese unberücksichtigt; der Tü-


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