Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 519,m
Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
83. Jahresband.2003
Seite: 40
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Francis Rapp

Bestimmt verfügte er über eine natürliche Begabung; doch so eine Intelligenz
könnte brach liegen. Erasmus hat sie gepflegt, ohne Unterlass hat er
mit dem von Gott gegebenen Pfunde gewuchert. Genie soll bekanntlich
Fleiß sein; in seinem Fall muss man diesem Spruch beipflichten. Von seiner
ständigen Arbeit zeugen 4000 Briefe, die von seiner Hand erhalten sind, ferner
zehn Bände, die seine Werke umfassen; und die zur Zeit im Entstehen
begriffene Ausgabe seines gesamten Werkes wird wahrscheinlich noch imposanter
sein. Dies alles hat Erasmus unter meist schwierigen Umständen
vollbracht, oft auf Reisen, denn er war viel unterwegs, und damals waren die
Reisen wesentlich beschwerlicher als heutzutage. Schließlich ist nicht zu
vergessen, dass er nicht vor Gesundheit strotzte und eher gebrechlich war.

Dürfen wir vielleicht ein wenig mit dem Werkzeug der Psychologie an
seine Persönlichkeit herangehen? Anzunehmen ist, dass für den empfindlichen
Jüngling wie für viele seiner Altersgenossen der Übergang von der
Kindheit ins Mannesalter schwierig war. Plausibel ist, dass das strenge Internat
und die klösterliche Lebensweise ihn dazu führten, das Innere dem Äußeren
vorzuziehen und sozusagen sein Geistes- und Seelenleben zu pflegen,
so wie ein Gärtner seine Beete pflegt. Zwanzig Jahre war er alt, als er De
contemptione mundi (Über die Verachtung der Welt) verfasste und sich
selbst Gründe lieferte, dieses Reich weltlichen Getriebes zu verachten.

Damals hatte er sich schon in die alten Sprachen verliebt; ihre Schönheit
hatte ihn verzaubert - er hatte sein Ideal entdeckt. Orator et poeta,
Redner und Dichter zu werden, war sein Ziel; Cicero, Vergil, Horaz und
viele andere waren seine Vorbilder. Was er in Steyn fast im Geheimen erlebt
hatte, war ja zuerst in Italien, dann in ganz Europa von immer mehr
Menschen erlebt worden. Das Fieber des Humanismus hatte auch den jungen
Holländer erfasst. In seinem Fall aber war es keine Spielerei, es war
seine Daseinsberechtigung.

Die Brüder des „Gemeinen Lebens", seine Lehrer hatten ihm den Drang
zur Mitteilung des eigenen Wissens eingeimpft, er konnte nicht anders als
ein Pädagoge zu sein - aber nicht im Klassenzimmer! Unterrichtet hat er
nie, obwohl er einmal schrieb, dass es keinen schöneren Beruf gäbe als den
des Lehrers. Nein, mit der Feder hat er unterrichtet, für eine Leserschaft.
Warum soll man studieren; wie kann man gute Briefe aufsetzen; wie reich
ist der Wortschatz? Das waren die Fragen, auf die seine ersten Werke Antwort
gaben. Seine Leidenschaft machte ihn erfinderisch. So lieferte er seinen
Lesern Zitate, die sie dann in ihre eigenen Schriften oder in ihre Gespräche
einfügen konnten. Diese Sammlung, Adagia genannt, wurde viermal
ediert und jede Edition enthielt Neues. Dann kamen die Colloquia, die
Gespräche: kleine Sketche, mit denen er eine Vielzahl von Gestalten und
Charakteren inszenierte. Während von diesen kleinen Geschichten das
Interesse des Lesers wach gehalten wird, kann er seinen Wortschatz an Vokabeln
und sprachlichen Wendungen vermehren.


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